2666
Pferd besaß, das er besser behandelte als der Exsoldat seine einäugige Frau, erklärte, der vorerwähnte Herr sei nicht in der Kneipe, weil er nicht einmal das Geld für ein Glas Bier besitze, was die Wahlkämpfer zu Beteuerungen veranlasste, daran solle es nicht scheitern, sie würden dem Soldaten Reiter sein Bier bezahlen, woraufhin der Kerl, der sich als feiner Herr gerierte, mit dem Finger auf einen Dörfler zeigte und sagte, er solle zum Haus des Soldaten Reiter laufen und ihn in die Kneipe holen, was der Dörfler auf der Stelle tat, aber als er nach fünfzehn Minuten wiederkam, verkündete er vor versammelter Mannschaft, der Soldat Reiter habe nicht mitgehen wollen und als Gründe angeführt, er besäße keine passende Kleidung, um so vornehmen Besuchern wie den Angehörigen des Wahlkampfkomitees vorgestellt zu werden, außerdem wäre er mit seiner Tochter allein zu Haus, weil die Einäugige noch nicht von der Arbeit zurück sei, und die Kleine logischerweise nicht allein bleiben könne, ein Argument, das die Wahlkämpfer, die allesamt Schweine waren, fast zu Tränen rührte, denn sie waren nicht bloß Schweine, sondern obendrein sentimental, und das Schicksal des Veteranen und Kriegsversehrten traf sie ins Mark, nicht jedoch den Kerl, der sich als feiner Herr gerierte, der aufstand und, nachdem er seine Bildung mit dem Satz unter Beweis stellte, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen, den Dörfler anwies, ihn zum Haus des Einbeinigen zu führen, wobei ihn keiner aus der Gruppe begleiten durfte, keiner außer dem Dörfler, und so besudelte sich dieses Mitglied der nationalsozialistischen Partei die Stiefel mit dem Schlamm der Dorfstraßen und folgte dem Dörfler bis zum Waldrand, wo das Haus der Familie stand, das er vor dem Eintreten eine Weile lang mit wissendem Blick taxierte, als wollte er an der harmonischen oder kraftvollen Linienführung des Hauses den Charakter des Paterfamilias ablesen oder als besäße er ein außerordentliches Interesse an der rustikalen Bauweise dieses Teils von Preußen, dann traten sie ins Haus, und tatsächlich schlief in einer hölzernen Wiege ein dreijähriges Mädchen, und tatsächlich trug der Einbeinige nur Lumpen am Leib, da sein Militärmantel und sein einziges anständiges Paar Hosen im Spülbecken lagen oder feucht im Hof hingen, was einem freundlichen Empfang jedoch keinen Abbruch tat, zweifellos fühlte sich der Einbeinige anfangs geehrt, privilegiert, weil ein Mitglied des Wahlkampfkomitees extra zu ihm gekommen war, um ihn zu begrüßen, doch später kippte die Stimmung, oder es schien, als würde sie kippen, denn die Fragen von dem Kerl, der sich als feiner Herr gerierte, gefielen ihm mit der Zeit immer weniger, und die Äußerungen, die weniger Äußerungen als Prophezeiungen waren, gefielen ihm auch immer weniger, und so antwortete der Einbeinige auf jede Frage mit einer meist seltsamen oder ausgefallenen Äußerung, und jede Äußerung des anderen begleitete der Einbeinige mit einer Frage, die die Äußerung entkräftete oder in Zweifel zog oder als kindische und in der Praxis sinnlose Äußerung dastehen ließ, was wiederum dem Kerl, der sich als feiner Herr gerierte, nicht schmeckte, der in einem vergeblichen Versuch, eine gemeinsame Ebene zu finden, dem Einbeinigen anvertraute, er sei im Krieg Flieger gewesen und habe zwölf französische und acht englische Flugzeuge vom Himmel geholt, er wisse um die Leiden eines Soldaten an der Front, worauf der Einbeinige erwiderte, am meisten gelitten habe er nicht an der Front, sondern in dem verfluchten Lazarett in der Nähe von Düren, wo seine Landsleute nicht nur Zigaretten gestohlen hätten, sondern alles, was nicht niet- und nagelfest war, sogar die Seelen stahlen sie, um damit zu schachern, denn sehr wahrscheinlich besaßen deutsche Lazarette eine erhebliche Satanistenrate, was andererseits verständlich sei, so der Einbeinige, weil ein längerer Lazarettaufenthalt die Leute zum Satanismus treibe, eine Behauptung, die dem bekennenden Kampfpiloten wieder nicht schmeckte, der auch in einem Lazarett gelegen hatte, in Düren? fragte der Einbeinige, nein, in Belgien, sagte der Kerl, der sich als feiner Herr gerierte, und die Behandlung, die ihm zuteil geworden sei, erfüllte, ja übertraf häufig genug nicht allein das geforderte Maß an Opferbereitschaft, sondern auch das an Liebenswürdigkeit und Verständnis, mannhafte und wunderbare Ärzte, hübsche und zupackende
Weitere Kostenlose Bücher