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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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werden könnten.
    »Vor dem Verlassen des Taxis«, gestand Espinoza, »habe ich mit einem Taschentuch meine Spuren beseitigt.«
    »Ich weiß«, sagte Pelletier, »ich habe es gesehen und das Gleiche getan: Habe meine und Liz' Spuren beseitigt.«
    Mit allmählich erlahmender Emphase rekapitulierten sie die Ereignisse, die schließlich dazu geführt hatten, dass sie über den Taxifahrer hergefallen waren. Pritchard, natürlich. Und die Gorgo, die unschuldige, vom Rest ihrer unsterblichen Schwestern geschiedene sterbliche Medusa. Und die verhüllte oder gar nicht so verhüllte Drohung. Und die Nerven. Und die Beleidigung dieses einfältigen Rüpels. Sie vermissten ein Radio, um die neuesten Nachrichten zu erfahren. Sie sprachen über das, was sie gefühlt hatten, als sie auf den am Boden liegenden Körper eintraten. Eine Mischung aus Traum und sexueller Lust. Lust, den armen Teufel zu vögeln? Durchaus nicht! Eher war es so, als würden sie sich selbst vögeln. Als wühlten sie in sich selbst. Mit langen Fingernägeln und leeren Händen. Obwohl einer, der lange Nägel hat, nicht unbedingt auch leere Hände haben muss. Aber in dieser Art von Traum wühlten und wühlten sie, zerrissen Gewebe, zerfetzten Venen und verletzten lebenswichtige Organe. Was suchten sie? Sie wussten es nicht. Mittlerweile interessierte es sie auch nicht mehr.
    Am Nachmittag trafen sie Norton und sagten ihr alles, was sie über Pritchard wussten oder befürchteten. Die Gorgo, der Tod der Gorgo. Die Frau, die einen aussaugt. Sie ließ sie reden, bis ihre Worte versiegten. Dann beschwichtigte sie sie. Pritchard könne keiner Fliege etwas zuleide tun, sagte sie. Sie dachten an Anthony Perkins, der angeblich auch keiner Fliege etwas antun konnte, und dann geschah, was geschehen ist, aber sie wollten lieber nicht diskutieren und stimmten ihren Argumenten ohne echte Überzeugung zu. Darauf setzte Norton sich hin und sagte, wofür es keine Erklärung gebe, sei das, was letzte Nacht passiert sei.
    Sie fragten, gleichsam um von ihrer Schuld abzulenken, ob sie etwas von dem Pakistani gehört habe. Norton bejahte. In den Nachrichten eines lokalen Fernsehsenders sei darüber berichtet worden. Eine Gruppe von Freunden, wahrscheinlich die Leute, die sie aus Garden Row hatten kommen sehen, hatte den am Boden liegenden Taxifahrer gefunden und die Polizei alarmiert. Er hatte vier kaputte Rippen, eine Gehirnerschütterung, eine gebrochene Nase und alle oberen Zähne verloren. Er lag jetzt im Krankenhaus.
    »Es war meine Schuld«, sagte Espinoza, »ich habe bei seinen Beleidigungen die Nerven verloren.«
    »Das Beste wird sein, wenn wir uns eine Weile nicht sehen«, sagte Norton, »ich muss in Ruhe über die Sache nachdenken.«
    Pelletier war einverstanden, aber Espinoza beharrte auf seiner Schuld; dass Norton ihn vorerst nicht treffen wollte, schien ihm gerecht, aber nicht, dass sie aufhörte, sich mit Pelletier zu treffen.
    »Hör jetzt auf mit dem Unsinn«, flüsterte Pelletier ihm zu, und da erst merkte Espinoza, dass er in der Tat Blödsinn redete.
    Noch am gleichen Abend kehrten beide in ihr jeweiliges Zuhause zurück.
    Bei seiner Ankunft in Madrid erlitt Espinoza einen kleinen Nervenzusammenbruch. Im Taxi, das ihn nach Hause brachte, fing er hinter der Hand, mit der er seine Augen verbarg, leise an zu weinen, aber der Taxifahrer merkte das und fragte ihn, was los sei, ob es ihm schlechtgehe.
    »Es geht mir gut«, sagte Espinoza. »Bin nur ein wenig nervös.«
    »Sind Sie von hier?«, fragte der Taxifahrer.
    »Ja«, sagte Espinoza, »ich bin Madrilene.«
    Eine Weile blieben beide stumm. Dann ging der Taxifahrer wieder zum Angriff über und fragte, ob er sich für Fußball interessiere. Espinoza verneinte, dafür und überhaupt für Sport habe er sich noch nie interessiert. Und er fügte hinzu, um das Gespräch nicht abrupt abzuwürgen, dass er vorige Nacht beinahe einen Menschen umgebracht habe.
    »Nicht möglich!«, sagte der Taxifahrer.
    »Doch«, sagte Espinoza, »beinahe umgebracht.«
    »Und warum das?«, fragte der Taxifahrer.
    »Ein Wutanfall«, sagte Espinoza.
    »Im Ausland?«, fragte der Taxifahrer.
    »Ja«, sagte Espinoza und lachte zum ersten Mal, »weit weg von hier, weit weg, außerdem hatte der Typ einen sehr seltsamen Beruf.«
    Pelletier dagegen hatte weder einen kleinen Nervenzusammenbruch, noch sprach er mit dem Taxifahrer, der ihn heimfuhr. Zu Hause angekommen ging er duschen und machte sich etwas italienische Pasta mit Olivenöl und Käse.

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