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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Espinoza austeilte, bis ihm die Puste ausging und Pelletier für ihn einsprang, unerachtet der schreienden Norton, die sie zu bremsen versuchte, die sagte, mit Gewalt ändere man gar nichts, im Gegenteil, der Pakistani werde nach der Tracht Prügel die Engländer noch mehr hassen, was Pelletier als Nichtengländer ersichtlich wenig beeindruckte, noch viel weniger Espinoza, obwohl sie den Pakistani, während sie auf ihn eintraten, auf Englisch beschimpften, ohne sich im mindesten daran zu stören, dass der Asiate zusammengekrümmt am Boden lag, Tritt rechts, Tritt links, steck dir deinen Islam in den Arsch, da gehört er hin, dieser Tritt kommt von Salman Rushdie (ein Autor, den beide übrigens nicht sehr schätzten, dessen Erwähnung ihnen aber angebracht schien), dieser Tritt von den Pariser Feministinnen (Hört endlich auf, Scheiße noch mal, schrie Norton), diesen Tritt schickt dir der Geist von Valerie Solanas, du Missgeburt, und immer so weiter, bis er besinnungslos und, abgesehen von den Augen, aus allen Öffnungen des Kopfes blutend dalag.
    Nachdem sie von ihm abgelassen hatten, versanken sie für Sekunden in die seltsamste Ruhe ihres Lebens. Als wäre es zwischen ihnen doch noch zur ménage à trois gekommen, von der sie so viel phantasiert hatten.
    Pelletier fühlte sich wie nach einem Orgasmus. Nur wenig anders ging es Espinoza. Norton, die sie anstarrte, ohne sie in der Dunkelheit zu sehen, schien gleich mehrmals hintereinander gekommen zu sein. Einige Autos fuhren durch Saint George's Road, aber die drei waren für alle, die um diese Zeit in einem Fahrzeug unterwegs waren, unsichtbar. Kein einziger Stern stand am Himmel. Dennoch war die Nacht klar: Sie sahen alles ganz deutlich, sogar die Umrisse der kleinsten Dinge, als hätte ihnen plötzlich ein Engel eine Nachtsichtbrille aufgesetzt. Ihre Haut fühlte sich glatt und unendlich weich an, in Wirklichkeit aber schwitzten sie bloß. Einen Moment lang dachten Espinoza und Pelletier, sie hätten den Pakistani umgebracht. Norton musste ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen sein, denn sie beugte sich über den Taxifahrer und fühlte seinen Puls. Jede Bewegung und das Hinknien taten ihr weh, als hätte sie sich beide Beine verrenkt.
    Eine Gruppe von Leuten kam singend und lachend aus der Garden Row. Drei Männer und zwei Frauen. Regungslos blickten sie in ihre Richtung und warteten. Die Gruppe kam auf sie zu.
    »Das Taxi«, sagte Pelletier, »sie kommen wegen des Taxis.«
    Erst in diesem Moment bemerkten sie, dass die Innenbeleuchtung des Taxis eingeschaltet war.
    »Los«, sagte Espinoza.
    Pelletier fasste Norton bei den Schultern und half ihr aufstehen.
    Espinoza hatte sich hinter das Steuer gesetzt und trieb sie zur Eile. Mit sanfter Gewalt schob Pelletier Norton auf den Rücksitz und stieg hinter ihr ein. Die Gruppe aus Garden Row lief direkt auf die Stelle zu, wo der Taxifahrer lag.
    »Er lebt, er atmet«, sagte Norton.
    Espinoza startete den Wagen, und sie fuhren davon. Auf der anderen Themseseite, in einem Sträßchen unweit von Old Marylebone, ließen sie das Taxi stehen und gingen ein Stück zu Fuß. Sie wollten mit Norton reden, ihr das Vorgefallene erklären, aber sie erlaubte ihnen nicht einmal, sie nach Hause zu bringen.
    Am nächsten Tag durchsuchten sie während eines ausgiebigen Frühstücks im Hotel die Tageszeitungen nach Meldungen über den pakistanischen Taxifahrer, aber die Sache wurde nirgends erwähnt. Nach dem Frühstück zogen sie los und besorgten sich Ausgaben der Boulevardpresse. Aber auch dort fanden sie nichts.
    Sie riefen Norton an, die nicht mehr so zornig wirkte wie in der vergangenen Nacht. Sie versicherten ihr, sie müssten sie unbedingt am Nachmittag treffen. Sie hätten ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Norton antwortete, dass auch sie ihnen Wichtiges mitzuteilen habe. Um die Zeit totzuschlagen, machten sie einen Spaziergang durch das Viertel. Einige Minuten lang standen sie und betrachteten die Krankenwagen, die im Middlesex Hospital ein- und ausfuhren, und starrten gebannt auf jeden Kranken oder Verletzten, der eingeliefert wurde, glaubten in jedem von ihnen die Züge des Pakistani zu erkennen, den sie zusammengetreten hatten. Schließlich wurde ihnen das zu dumm, und sie setzten ihren Spaziergang mit ruhigerem Gewissen über Charing Cross bis zum Strand fort. Natürlich kam es zu Vertraulichkeiten. Sie schütteten einander ihr Herz aus. Ihre größte Sorge war, dass sie von der Polizei gesucht und am Ende verhaftet

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