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ziehen. Aber mal öffnete mein General Entrescu die Tür, mal blieb die Tür zu.«
»Also kam er manchmal an die Tür und manchmal nicht«, sagte Popescu, »und er war bei alldem Augenzeuge?«
»Weniger Augen- als Ohrenzeuge«, sagte der kriegsversehrte Hauptmann, »ich und die übrigen Offiziere des Haufens, zu dem die drei Divisionen des vierten Armeekorps geschrumpft waren, verdattert, erstaunt, perplex, einige heulend, andere in der Nase bohrend, einige über Rumäniens grausames Schicksal wehklagend, das seiner Opfer und Verdienste halber der Welt ein Leuchtturm sein sollte, andere an den Nägeln kauend, alle mutlos, mutlos, mutlos, bis schließlich geschah, was prophezeit war. Ich habe es nicht gesehen. Die Irren waren den Vernünftigen zahlenmäßig überlegen. Sie verließen die Scheune. Einige Unteroffiziere gingen daran, ein Kreuz zu zimmern. Mein General Danilescu war bereits fort, auf seinen Stock gestützt war er zusammen mit acht Männern bei Morgengrauen nach Norden aufgebrochen, ohne jemandem etwas zu sagen. Ich selbst war nicht im Schloss, als alles geschah. Ich hielt mich in der Umgebung auf, wo ich mit einigen Soldaten Verteidigungsanlagen errichtete, die nie zum Einsatz kamen. Ich erinnere mich, dass wir Schützengräben aushoben und auf Knochen stießen. Das sind verseuchte Kühe, sagte einer der Soldaten. Das sind menschliche Körper, sagte ein anderer. Das sind geschlachtete Kälber, sagte der Erste. Nein, das sind menschliche Körper. Grabt weiter, sagte ich, denkt nicht dran, grabt weiter. Aber wo wir auch gruben, tauchten Knochen auf. Was zum Teufel soll das, brüllte ich. Was für eine merkwürdige Erde ist das, schrie ich. Die Soldaten hörten auf, im Umkreis des Schlosses Schützengräben auszuheben. Wir hörten ein Geschrei, hatten aber keine Kraft, nachschauen zu gehen, was los war. Einer der Soldaten sagte, unsere Kameraden hätten vielleicht Essen gefunden und würden das feiern. Oder Wein. Es war Wein. Der Weinkeller war geplündert worden, und es gab genug Wein für alle. Später, ich saß neben einem der Schützengräben und begutachtete einen Totenschädel, sah ich das Kreuz. Ein riesiges Kreuz, das eine Gruppe Irrer über den Schlosshof trug. Als wir mit der Nachricht zurückkamen, dass man keine Schützengräben ausheben konnte, weil das hier anscheinend oder sogar tatsächlich ein Friedhof war, da war alles schon vollbracht.«
»Also vollbracht war alles«, sagte Popescu, »und haben Sie den General am Kreuz hängen gesehen?«
»Ich habe ihn gesehen«, sagte der kriegsversehrte Hauptmann, »wir alle haben ihn gesehen, und dann sind alle gleich aufgebrochen, als könnte General Entrescu jeden Moment wiederauferstehen und ihnen ihr Verhalten ankreiden. Bevor ich weitermarschierte, traf eine deutsche Patrouille ein, ebenfalls auf der Flucht. Sie sagten, die Russen stünden nur zwei Dörfer entfernt und würden keine Gefangenen machen. Dann zogen die Deutschen weiter, und kurz darauf setzten auch wir unseren Weg fort.«
Diesmal sagte Popescu nichts.
Beide schwiegen eine Weile, dann ging Popescu in die Küche, um für den kriegsversehrten Hauptmann ein Entrecote zu braten, und fragte, wie er das Fleisch gern hätte, blutig oder gut durchgebraten? »Mittel«, sagte der kriegsversehrte Hauptmann, dessen Gedanken noch um jenen unheilvollen Tag kreisten.
Daraufhin servierte Popescu ihm ein großes Entrecote mit ein wenig scharfer Soße und bot ihm an, das Fleisch in Stücke zu schneiden, was der kriegsversehrte Hauptmann mit abwesender Miene dankend annahm. Solange das Essen dauerte, sagte keiner ein Wort. Popescu zog sich kurz zurück, sagte, er müsse kurz telefonieren, und als er zurückkam, kaute der Hauptmann auf seinem letzten Stück Fleisch. Popescu lächelte zufrieden. Der Hauptmann hob die Hand zur Stirn, als wollte er sich an etwas erinnern oder als täte ihm etwas weh.
»Rülpsen Sie, rülpsen Sie, wenn Ihnen danach ist, guter Freund«, sagte Popescu.
Der kriegsversehrte Hauptmann rülpste.
»Wie lang ist es her, dass Sie ein solches Entrecote gegessen haben, na?« sagte Popescu.
»Jahre«, sagte der kriegsversehrte Hauptmann.
»Und es hat Ihnen vorzüglich geschmeckt?«
»Aber sicher«, sagte der kriegsversehrte Hauptmann, »auch wenn das Reden über meinen General Entrescu sozusagen eine Tür geöffnet hat, die lange fest verschlossen war.«
»Sprechen Sie sich aus«, sagte Popescu, »Sie sind unter Landsleuten.«
Der Plural versetzte dem kriegsversehrten
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