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psychopathischer Mörder aufzeichnet, die 1938, als der Sohn zwanzig ist, ihren Anfang nehmen und 1948, auf übrigens rätselhafte Weise, ihr Ende finden.
Auf Ikaria blieb er eine Zeitlang. Lebte dann auf Amorgos. Dann auf Santorin. Dann auf Siphnos, Syros und Mykonos. Lebte dann auf einem winzigen Inselchen, das er Hekatombe oder Superego nannte, nahe der Insel Naxos, aber auf Naxos selbst lebte er nie. Dann kehrte er den Inseln den Rücken und auf den Kontinent zurück. In jener Zeit ernährte er sich von Trauben und Oliven, großen, gedörrten Oliven, die in Geschmack und Konsistenz den dortigen Böden ähnelten. Er aß frischen und gereiften Ziegenkäse, der in einer Hülle aus Weinblättern angeboten wurde und der noch in einem Umkreis von dreihundert Metern zu riechen war. Er aß steinhartes Schwarzbrot, das er in Wein aufweichen musste. Er aß Fisch und Tomaten. Dazu Feigen. Wasser. Das Wasser schöpfte er aus einem Brunnen. Er besaß einen Eimer und eine Blechkanne, wie man sie beim Militär benutzte, die er mit Wasser füllte. Er schwamm, aber der Algenjunge war tot. Trotzdem schwamm er gut. Tauchte manchmal. Andere Male saß er allein an den Hängen der mit niedrigem Gestrüpp bewachsenen Hügel, bis die Nacht oder der Morgen anbrach, dachte nach, wie er sagte, in Wirklichkeit aber dachte er an gar nichts.
Er lebte bereits wieder auf dem Kontinent, als er aus einer deutschen Zeitung, die er in einem Café in Messolongi las, von Bubis'Tod erfuhr.
Thanatos war nach Hamburg gekommen, eine Stadt, die er in- und auswendig kannte, derweil Bubis in seinem Büro das Buch eines jungen Dresdener Schriftstellers las, ein urkomisches Buch, bei dem es ihn vor Lachen schüttelte. Sein Gelächter, so die Pressechefin des Verlags, hörte man im Besucherzimmer und in der Buchhaltung, auch im Saal, wo die Lektoren saßen, im Sitzungszimmer und bei den Korrektoren, auf der Toilette und in dem Raum, der manchmal als Küche und Speisekammer diente, und es drang sogar bis in das Büro seiner Frau, das am weitesten von allen anderen entfernt lag.
Plötzlich verstummte das Gelächter. Alle im Verlag erinnerten sich aus dem einen oder anderen Grund an die Uhrzeit: Elf Uhr fünfundzwanzig. Nach einer Weile klopfte die Sekretärin an die Tür zu Bubis' Büro. Sie bekam keine Antwort. Aus Angst, ihn zu stören, insistierte sie nicht weiter. Kurz darauf versuchte sie, einen Anruf zu ihm durchzustellen. Niemand in Bubis' Büro nahm den Hörer ab. Diesmal war der Anruf dringend, und nachdem die Sekretärin mehrmals geklopft hatte, öffnete sie die Tür. Bubis hockte zusammengesunken inmitten seiner kunstvoll am Boden verstreuten Bücher und war tot, obwohl sein Gesicht einen zufriedenen Eindruck machte.
Sein Leichnam wurde verbrannt und die Asche über der Alster verstreut. Seine Frau, die Baroness, übernahm die Leitung des Verlags und erklärte, sie sei mitnichten an einem Verkauf interessiert. Über das Manuskript des jungen Schriftstellers aus Dresden, der übrigens bereits Schwierigkeiten mit der Zensur in der Deutschen Demokratischen Republik gehabt hatte, wurde nichts bekannt.
Nachdem Archimboldi die Nachricht gelesen hatte, las er sie gleich noch einmal von vorn, dann noch ein drittes Mal, und dann erhob er sich unsicher und lief durch Messolongi, das voller Erinnerungen an Byron war, als hätte Byron nichts anderes getan, als von einem Ende Messolongis zum anderen zu laufen, von Herberge zu Taverne, von Gässchen zu Plätzchen, wo man doch wusste, das ihm das Fieber nicht einmal erlaubte aufzustehen und dass, wer da herumlief und sah und erkannte, Thanatos war, der, außer dass er Byron holen kam, Tourismus trieb, ist Thanatos doch der größte Tourist auf Erden.
Und dann überlegte Archimboldi, ob es angebracht wäre, eine Beileidskarte an den Verlag zu schicken. Er legte sich sogar die Worte zurecht, die er in der Karte schreiben wollte. Aber dann schien ihm das alles sinnlos, und er schrieb nichts und schickte nichts.
Mehr als ein Jahr nach Bubis' Tod, Archimboldi lebte bereits wieder in Italien, traf im Verlag das Manuskript seines letzten Romans mit dem Titel Die Rückkehr ein. Die Baroness wollte es nicht lesen. Sie übergab es der Lektorin mit dem Auftrag, es für die Veröffentlichung in drei Monaten fertig zu machen.
Dann schickte sie ein Telegramm an den Absender, der auf dem Umschlag des Manuskripts angegeben war, und stieg am nächsten Tag in eine Maschine nach Mailand. Vom Flughafen fuhr sie zum Bahnhof,
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