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glücklich zu werden.
Werner, der ihr Vertrauter war, hörte zu, ohne etwas zu sagen, und dann gingen sie zusammen ins Kino und sahen sich amerikanische oder englische Filme an oder gingen tanzen. An manchen Wochenenden fuhren sie aufs Land, vor allem, nachdem Werner ein halb kaputtes Motorrad gekauft hatte, das er in seiner freien Zeit selbst reparierte. Für diese Picknicks packte Lotte Butterbrote aus Schwarzbrot und Weißbrot ein, etwas Kuchen und nie mehr als drei Flaschen Bier. Werner wiederum füllte eine Feldflasche mit Wasser und brachte ab und zu Süßigkeiten oder eine Tafel Schokolade mit. Manchmal, nachdem sie im Wald spazieren gegangen waren und gegessen hatten, breiteten sie eine Decke auf dem Boden aus, fassten sich bei der Hand und schliefen ein.
Die Träume, die Lotte auf dem Land hatte, waren beunruhigend.Sie träumte von toten Eichhörnchen, toten Hirschen, toten Kaninchen, und manchmal glaubte sie im Dickicht ein Wildschwein zu sehen, näherte sich ihm ganz langsam, und wenn sie die Zweige zur Seite bog, sah sie eine riesige Bache sterbend daliegen, um sie herum Hunderte von toten Wildschweinferkeln. Wenn das geschah, schreckte sie hoch, und nur der Anblick von Werner, der friedlich neben ihr schlief, vermochte sie zu beruhigen. Eine Zeitlang spielte sie mit dem Gedanken, Vegetarierin zu werden. Stattdessen gewöhnte sie sich das Rauchen an.
Damals war es in Paderborn wie im übrigen Deutschland üblich, dass Frauen rauchten, aber zumindest in Paderborn gab es wenige, die es auf der Straße taten, wenn sie spazieren oder zur Arbeit gingen. Eine von denen, die auf der Straße rauchten, war Lotte. Die erste Zigarette steckte sie sich früh am Morgen an, und wenn sie zur Bushaltestelle lief, rauchte sie bereits ihre zweite. Werner dagegen rauchte nicht, und obwohl Lotte ihn drängte, es auch zu tun, und er ihr nicht widersprechen wollte, schaffte er nur ein paar Züge an ihrer Zigarette und wäre am Rauch fast erstickt.
Als Lotte zu rauchen anfing, bat Werner sie, seine Frau zu werden.
»Ich muss darüber nachdenken«, sagte Lotte, »aber nicht ein oder zwei Tage lang, sondern Wochen und Monate.«
Werner sagte, sie solle sich so viel Zeit lassen, wie sie brauche, denn er wolle sie sein Leben lang zur Frau und wisse, dass die Entscheidung über eine solche Angelegenheit keine Kleinigkeit sei. Von diesem Zeitpunkt an ging Lotte immer seltener mit Werner aus. Als er das merkte, fragte er sie, ob sie ihn nicht mehr liebe, und als Lotte antwortete, sie müsse überlegen, ob sie ihn heiraten solle oder nicht, bedauerte er, sie gefragt zu haben. Sie unternahmen nicht mehr regelmäßig wie früher Ausflüge, gingen nicht mehr ins Kino oder tanzen. In jener Zeit lernte Lotte einen Mann kennen, der in einer Rohrfabrik arbeitete, die sich neu in der Stadt angesiedelt hatte, und ging nun öfters mit diesem Mann aus, der Ingenieur war, Heinrich hieß und ein Zimmer in einer Pension in der Innenstadt bewohnte, da er eigentlich in Duisburg lebte, wo sich der Hauptsitz der Firma befand.
Kurz nachdem sie miteinander auszugehen begannen, hatte Heinrich ihr gestanden, dass er verheiratet sei und einen Sohn habe, seine Frau aber nicht liebe und überlege, sich scheiden zu lassen. Dass er verheiratet war, kümmerte Lotte nicht, dass er einen Sohn hatte, jedoch schon, denn sie liebte Kinder, und der Gedanke, einem Kind weh zu tun, und sei es indirekt, war ihr fürchterlich. Dennoch gingen sie rund zwei Monate miteinander aus, und hin und wieder sprach Lotte mit Werner, und Werner fragte sie, wie es mit ihrem neuen Verlobten laufe, und Lotte erwiderte, sehr gut, ganz normal, wie bei allen Menschen. Schließlich aber wurde ihr klar, dass Heinrich sich niemals scheiden lassen würde, und brach mit ihm, obwohl sie noch manchmal ins Kino oder zusammen essen gingen.
Eines Tages, als sie von der Arbeit kam, traf sie Werner auf der Straße, der auf seinem Motorrad saß und auf sie wartete. Diesmal redete Werner nicht von Heirat, auch nicht von Liebe, sondern lud sie nur in ein Café ein und brachte sie anschließend nach Hause. Immer öfter gingen sie jetzt wieder miteinander aus, was die Einäugige freute und auch den Mechaniker, der keine Kinder hatte und Werner schätzte, weil er zuverlässig und fleißig war. Die Alpträume, unter denen Lotte seit ihrer Kindheit litt, ließen deutlich nach, bis sie schließlich keine Alpträume und auch keine Träume mehr hatte.
»Sicher träume ich«, sagte sie, »wie alle
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