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Freunden in einen Autodiebstahl und, im Anschluss, in einen Fall sexuellen Missbrauchs verwickelt, begangen an einer jungen Frau italienischer Herkunft, die als Arbeiterin in einer kleinen Fabrik für Sanitärartikel beschäftigt war. Klaus' Freunde, beide volljährig, landeten für einige Zeit hinter Gittern. Klaus kam für vier Monate in eine Besserungsanstalt und kehrte anschließend zu seinen Eltern zurück. Während seines Aufenthalts in der Anstalt arbeitete er in den Werkstätten und lernte, Haushaltsgeräte aller Art zu reparieren, vom Kühlschrank bis zum Mixer. Wieder zu Hause begann er in der Autowerkstatt seines Vaters zu arbeiten, und eine Zeitlang geriet er in keine neuen Schwierigkeiten.
Lotte und Werner versuchten sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass sich ihr Sohn nunmehr auf dem rechten Weg befände. Mit achtzehn war Klaus mit einem Mädchen zusammen, das in einer Bäckerei arbeitete, aber die Beziehung hielt nur drei Monate, was Lottes Einschätzung nach daran lag, dass das Mädchen nicht gerade eine Schönheit war. Hernach lernten sie keine seiner Freundinnen mehr kennen und kamen zu dem Schluss, dass er entweder keine hatte oder es aus unerfindlichen Gründen vermied, sie nach Hause mitzubringen. In jener Zeit entdeckte er seine Liebe zum Alkohol, und nach Feierabend zog er gewöhnlich zusammen mit einigen jungen Arbeitern aus der Werkstatt durch die Paderborner Kneipen.
Mehr als einmal geriet er an Wochenenden nachts in Schwierigkeiten, nichts Weltbewegendes, Prügeleien mit anderen Jugendlichen, Sachbeschädigung an öffentlichen Einrichtungen, und Werner musste das Bußgeld bezahlen und ihn von der Polizeiwache abholen. Eines Tages kam Klaus der Gedanke, dass Paderborn zu klein für ihn war, und er ging nach München. Manchmal telefonierte er per R-Gespräch mit seiner Mutter und führte belanglose, verkrampfte Gespräche, die auf Lotte paradoxerweise beruhigend wirkten.
Monate vergingen, bevor Lotte ihn wiedersah. Klaus sah in Deutschland und auch in Europa keine Zukunft, und seines Erachtens blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Glück in Amerika zu versuchen, wohin er gehen wollte, sobald er ein wenig Geld beisammenhatte. Nach mehreren Monaten Arbeit in der Autowerkstatt ging er in Kiel an Bord eines deutschen Schiffes mit Zielhafen New York. Als er Paderborn verließ, weinte Lotte: Ihr Sohn war ein großgewachsener Mann und machte keinen schwächlichen Eindruck, aber trotzdem musste sie weinen, weil sie ahnte, dass er auf dem neuen Kontinent nicht glücklich werden würde, wo die Menschen weder so groß noch so blond waren wie er, dafür listig und verschlagen, das Schlechteste aus beiden Welten, Leute, denen man nicht trauen konnte.
Werner brachte ihn im Auto nach Kiel, und bei seiner Rückkehr nach Paderborn sagte er zu Lotte, das Schiff sei gut und stabil und werde nicht untergehen, auch berge Klaus' Arbeit als Steward und zeitweiliger Tellerwäscher keinerlei Gefahr. Aber seine Worte konnten Lotte nicht beruhigen, die abgelehnt hatte, nach Kiel mitzukommen, »um das Leiden nicht zu verlängern«.
Als Klaus in New York von Bord ging, schickte er seiner Mutter eine Postkarte mit der Freiheitsstatue. Diese Dame ist meine Verbündete, schrieb er auf die Rückseite. Dann vergingen Monate, bevor sie wieder etwas von ihm hörten. Und dann mehr als ein Jahr. Bis endlich eine zweite Postkarte eintraf, auf der er mitteilte, er habe die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt und einen guten Job. Die Karte kam aus Macon im Bundesstaat Georgia, und Lotte und Werner schrieben beide Briefe mit Fragen nach seiner Gesundheit, seinen Finanzen und seinen Zukunftsplänen, die Klaus nie beantwortete. Mit der Zeit gewöhnten Lotte und Werner sich an den Gedanken, dass Klaus flügge geworden sei und es ihm gutgehe. Manchmal malte Lotte sich aus, er sei mit einer Amerikanerin verheiratet, lebe in einem sonnendurchfluteten amerikanischen Haus und führe ein Leben wie in einem dieser amerikanischen Filme, die man im Fernsehen sah. In Lottes Träumen jedoch hatte Klaus' amerikanische Frau kein Gesicht, sah sie immer nur deren Rücken, das heißt, ihr Haar, das nur unwesentlich dunkler war als das von Klaus, ihre gebräunten Schultern und ihre schlanke, straffe Taille. Sie sah Klaus' Gesicht, das ernst und erwartungsvoll war, nie aber das Gesicht seiner Frau oder das seiner Kinder, wenn sie ihn sich mit Kindern vorstellte. Tatsächlich sah sie Klaus' Kinder nicht einmal von hinten. Sie wusste
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