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Pückler.
Hast du Lust auf ein gutes Eis mit Schokolade, Vanille und Erdbeere, bestell dir ein Fürst Pückler. Du bekommst ein Eis mit drei Sorten, nicht irgendwelchen Sorten, sondern mit exakt Schokolade, Vanille und Erdbeere. Das nämlich ist ein Fürst-Pückler-Eis.
Als Archimboldi seine Schwester verlassen hatte, fuhr er nach Hamburg, denn von dort wollte er einen Direktflug nach Mexiko nehmen. Da die Maschine erst am nächsten Morgen ging, machte er einen Spaziergang durch einen Park, den er nicht kannte, einen sehr großen Park mit vielen Bäumen und schmalen Steinplattenwegen, auf denen Mütter mit Kindern, Jugendliche auf Rollerblades und ab und zu Studenten auf Fahrrädern vorbeikamen, und setzte sich irgendwann auf die Außenterrasse eines Lokals, wobei die Terrasse ziemlich weit vom eigentlichen Lokal entfernt lag, eine Terrasse mitten im Wald, könnte man sagen, und schlug ein Buch auf und bestellte ein Brot und ein Bier und bezahlte und bestellte dann ein Fürst-Pückler-Eis und bezahlte, denn auf der Terrasse musste man seinen Verzehr immer gleich bezahlen.
Auf der Terrasse saßen übrigens nur er und, drei Tische entfernt (massiv schmiedeeiserne, dabei aber elegante und buchstäblich schwer zu stehlende Tische), ein Herr fortgeschrittenen Alters, wenn auch nicht so fortgeschrittenen Alters wie Archimboldi, las in einer Zeitschrift und trank einen Cappuccino. Als Archimboldi sein Eis eben verspeist hatte, fragte der andere herüber, ob es geschmeckt habe.
»Ja, hat es«, sagte Archimboldi und setzte ein Lächeln auf.
Der ältere Herr, angeregt oder ermuntert durch das freundliche Lächeln, erhob sich und setzte sich an einen Nachbartisch.
»Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle«, sagte er. »Mein Name ist Alexander Fürst Pückler. Der, wie soll ich sagen, Schöpfer dieses Eises war ein Vorfahr von mir, ein ganz bemerkenswerter Fürst Pückler, ein großer Reisender, ein Mann der Aufklärung, dessen große Leidenschaft der Botanik und der Gartenbaukunst galt. Selbstverständlich dachte er, falls er je an so etwas dachte, er werde aufgrund eines der vielen Opuskeln in die, wie soll ich sagen, Geschichte eingehen, die er zeitlebens verfasst und veröffentlicht hat, die meisten übrigens Reiseberichte, jedoch nicht unbedingt Reiseberichte für den praktischen Gebrauch, sondern schmale Bändchen, die noch heute bezaubernd zu lesen sind, außerdem sehr, wie soll ich sagen, verständlich, verständlich im Rahmen des Möglichen, versteht sich, Bändchen, die den Eindruck erwecken, als sei das Ziel jeder seiner Reisen letztlich die Begutachtung eines bestimmten Gartens, darunter nicht selten vergessene, gottverlassene, also sich selbst überlassene Gärten, deren Anmut mein berühmter Vorfahr durch noch so große Verwahrlosung, noch so große Verwilderung hindurch zu erkennen vermochte. Seine Bändchen stecken, ungeachtet ihrer, wie soll ich sagen, botanischen Auskleidung voller scharfsinniger Beobachtungen, anhand derer man sich eine recht genaue Vorstellung vom Europa seiner Zeit machen kann, einem oftmals aufgewühlten Europa, dessen Stürme zuweilen bis an die Mauern des Pücklerschen Schlosses brandeten, das, wie Sie sicher wissen, in der Nähe von Görlitz liegt. Meinem Vorfahren blieben diese Stürme natürlich nicht verborgen, ebenso wenig wie andererseits die Wetterwendigkeit der, wie soll ich sagen, Conditio humana. Und darum schrieb und veröffentlichte er und erhob auf seine bescheidene, aber in guter deutscher Prosa gehaltene Weise die Stimme gegen die Ungerechtigkeit. Ich glaube, es interessierte ihn nicht, wohin die Seele gelangt, wenn der Körper stirbt, obwohl er auch darüber einige Seiten verfasste. Ihn interessierte die Menschenwürde und ihn interessierten die Pflanzen. Über das Glück verlor er nie ein Wort, ich vermute, weil er es für eine rein private und, wie soll ich sagen, morastige oder wankelmütige Angelegenheit hielt. Er hatte viel Sinn für Humor, obwohl einige Seiten aus seiner Feder mich leicht widerlegen könnten. Und wahrscheinlich, er war schließlich kein Heiliger, nicht einmal ein wagemutiger Mensch, dachte er an die Nachwelt. An die Büste, das Reiterstandbild, an die für allezeit in einer Bibliothek verwahrten Folianten. Auf eine Sache wäre er nie gekommen: Dass er in die Geschichte eingehen sollte als Namenspatron einer Kombination dreier Eissorten. Das kann ich Ihnen versichern. Oder was meinen Sie?«
»Ich bin überfragt«, sagte Archimboldi.
»Und
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