27 - Im Lande des Mahdi I
lassen, und doch konnte ich mich einer unbestimmten Ahnung nicht erwehren, daß er mit dieser Angelegenheit mehr und anders zu tun gehabt habe, als der Führer zugeben wollte.
Glücklicherweise hatte ich mit dem Alten einen Gang nach den verborgenen Königsgräbern verabredet. Bei dieser Gelegenheit konnte ich ihn aushorchen. Er hatte keine Ahnung, daß Ben Wasak bei mir gewesen war und von seinem Bruder mit mir gesprochen hatte; darum war es höchst wahrscheinlich, daß ich ihm eine Falle stellen konnte, in welche er gehen mußte, wenn meine Ahnung keine falsche war. Bald darauf wurde ich zum Frühstück gerufen. Ich aß tüchtig und erklärte meinem Wirt, daß ich zur Zeit des Mittagessens nicht da sein könne.
„Warum?“ fragte er. „Wo willst du hin?“
„Gräber besuchen.“
„O Allah! Ist das möglich? Hast du gestern nicht an dem Gestank der Höhle genug gehabt?“
„Es handelt sich nicht abermals um Krokodilsmumien.“
„Um welche denn, willst du die einbalsamierten Leiber der Wölfe sehen, welche droben in den Bergen liegen?“
„Vielleicht!“ antwortete ich, da ich Verschwiegenheit gelobt hatte und also nicht die Wahrheit sagen durfte. „Nur Selim wird mich begleiten.“
„Allah sei gelobt! Selim geht mit. Das ist ein sicheres Zeichen, daß die Sache weder gefährlich noch schaurig wird. Brauchst du Fackeln? Es sind noch welche von gestern da.“
„Fackeln, Zündhölzer und einen langen, festen Strick.“
Das Verlangte wurde gebracht. Ich nahm sechs Wachsfackeln, obgleich der Fakir gesagt hatte, daß wir an einer genug hätten. Er hatte eine Stunde vor Mittag am Tor sein wollen; aber bereits eine halbe Stunde vorher wurde ein halbwüchsiger Knabe zu mir gebracht, welcher draußen nach mir gefragt hatte und mir sagte, daß der heilige Mann uns draußen vor der Stadt erwarte.
„Warum kommt er nicht selbst, um uns zu holen?“ fragte ich.
„Er hat mit Allah gesprochen und darf den Ort des Gebetes noch nicht verlassen“, war die Antwort.
Ich ging hinüber zum Haushofmeister, um Selim abzuholen. Die beiden saßen rauchend und schwatzend auf dem Teppich. Noch im Eintreten hörte ich Selim sagen:
„Ich darf ihn nicht verlassen; er ist mir einmal anvertraut, und ich bin also sein Beschützer.“
Gewiß hatte der Schlingelschlangel von mir gesprochen! Diese Vermutung bestätigte sich sofort, denn der dicke Schwarze empfing mich mit den Worten:
„Was muß ich hören, Effendi! Du willst schon wieder auf Abenteuer ausgehen? Tu das nicht! Bleibe daheim! Ich weiß, daß ganz gewiß ein Unglück geschehen wird.“
„Hat Selim dir gesagt, wohin wir wollen?“ erkundigte ich mich, um zu erfahren, ob der Lange das Geheimnis ausgeplaudert habe.
„Nein. Er hat gesagt, er habe einen großen Schwur des Schweigens ablegen müssen. Das macht mich bang um euch.“
„Habe keine Sorge. Es wird uns nichts geschehen.“
„Das meinst du, weil du nicht an die Vorhersagungen des Mondes glaubst. Laß dich zurückhalten; ich bitte dich!“
„Und ich ersuche dich, nicht in mich zu dringen. Ich habe mein Wort gegeben, zu kommen, und muß es halten.“
„So laß wenigstens Selim da!“
„Was? Ich soll hierbleiben?“ rief dieser, indem er aufsprang. „Ich, der Beschützer und Bewahrer dieses Effendi soll ihn allein gehen lassen? Nein, ich kann nicht an meiner Pflicht sündigen; ich gehe mit ihm durch alle Gefahren des Himmels und der Erde. Ich werde für ihn mit allen Drachen, Schlangen und Skorpionen kämpfen. Ich bin bereit, Löwen und Panther zu zerreißen, damit sie ihm – – –“
„Zunächst hast du nur den Mund zu halten!“ unterbrach ich ihn. „Von Drachen, Löwen und Panthern ist keine Rede. Darum wirst du dein Gewehr hierlassen und nur das Messer zu dir stecken.“
„Aber wir wissen doch nicht, wohin wir gehen, Effendi! Wie leicht ist es möglich, daß wir in die Wüste kommen, an deren Rand die Löwen und – – –“
„Unsinn! Dir tut kein Löwe etwas. Es ist ihm gar nicht möglich, denn sobald du ihn erblickst, nimmst du so schnell Reißaus, daß er dir gar nicht zu folgen vermag.“
„Herr, welch' eine schlechte Meinung hast du vom treuesten aller deiner Freunde! Ich bin Selim, dein Behüter, und würde stehenbleiben und für dich kämpfen, selbst wenn alle Menschen und alle wilden Tiere der Erde auf dich einstürmten. Du verkennst mich; darum bitte ich Allah, uns eine Gefahr, eine recht große Gefahr zu senden, damit ich dir beweisen kann, welche Heldentaten
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