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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ich bereit bin, für dich zu tun.“
    Er steckte das Messer und drei Fackeln zu sich, nahm den Strick, und dann gingen wir. Der Knabe hatte draußen gewartet und führte uns nun durch die Stadt, genau den Weg, welchen wir vorgestern geritten waren. Als wir die belebten Gassen hinter uns hatten und nun bergaufstiegen, sah ich einen ärmlich gekleideten Kerl im Sand hocken, um da die spärlichen Grashalme mit einer Sichel abzuhauen. Als wir uns ihm näherten, richtete er sich auf. Ich erkannte den Gärtner, bei welchem wir den Gaukler gesucht hatten. Er tat nicht im geringsten überrascht über diese Begegnung; fast schien es, als ob er uns hier erwartet habe. Eben als wir vorübergingen, rief er, indem sein Gesicht sich zu einem höhnischen Grinsen verzog, mir zu:
    „Wohlan, so wandle den Weg der Ungläubigen, und verschmachte auf dem Pfad der Verfluchten. Allah verdamme dich, du Hund!“
    Dann wandte er sich um und rannte im Galopp davon, sich einige Male umsehend, ob ich ihn vielleicht verfolgen werde. Das fiel mir gar nicht ein. Sein Schimpfen war eine freche, unverschämte Rache für gestern; so dachte ich jetzt; später sah ich wohl ein, daß es noch etwas ganz anderes gewesen war.
    Als wir fast oben auf der Höhe angekommen waren, deutete der Knabe auf ein fernes Felsenloch und sagte:
    „Dort an dem alten Grabgewölbe seht ihr den Heiligen stehen; er wartet im Gebet auf euch.“
    Er wollte sich entfernen; ich machte Miene, ihm ein kleines Bakschisch zu geben; er aber spuckte vor mir aus und sagte mit einer Gebärde des Abscheus:
    „Behalte deinen Piaster. Wie könnte ich mich mit dem Geld eines Ungläubigen verunreinigen? Gehe zur Hölle!“
    Er rannte davon, so etwas war mir noch nicht vorgekommen. Während im Orient Alte und Junge nach dem Bakschisch förmlich Jagd machen und besonders die Knaben sich bis aufs Blut um denselben balgen, wies dieser Bub das Geschenk von sich und wagte es sogar, mich zu verhöhnen. Ich ließ ihn natürlich laufen und schritt mit Selim dem Loch zu, an welchem der Fakir lehnte, das Gesicht genau nach der Gegend von Mekka gerichtet und mit den beiden Händen im Gebet gestikulierend.
    Als wir uns ihm genug genähert hatten, sah ich, daß er seine Lippen im Gespräch mit Allah bewegte; auf seinem Gesicht lag der Ausdruck reinster, religiöser Verzückung. Nein, dieses Gesicht konnte nicht lügen. Der Mann, welcher dem Grab so nahe stand, daß jeder Augenblick ihn hineinstoßen konnte, sollte ein Freund von Verbrechern sein? Unmöglich, ganz unmöglich! Ich empfand in diesem Augenblick das festeste, das innigste Vertrauen zu ihm.
    Er hörte uns kommen und drehte sich uns zu. Sein Gesicht nahm den Ausdruck milder Würde an; er verbeugte sich, reichte mir die Hand und sagte:
    „Willkommen, Effendi! Allah leite deine Schritte zum Ziel der Freude und des Glückes! Du hast Wort gehalten, und auch ich werde mein Versprechen erfüllen. Du sollst die Könige der alten mit allen ihren Söhnen, Frauen, Töchtern und sonstigen Verwandten sehen.“
    „Warum hast du uns nicht selbst abgeholt, wie du mir versprochen hattest?“ fragte ich.
    „Allah rief mich, und ich mußte antworten. Ich stand auf der Erde und sah in den Himmel hinein; ich sah die Augen der Seligen strahlen und die Flügel der Heerscharen leuchten. Da durfte ich nicht gehen; ich mußte bleiben und die Stimme des Propheten vernehmen und die Sprüche seines Mundes, um sie zu verbreiten unter den Völkern der Gläubigen und der Ungläubigen.“
    „Der Ungläubigen? So bist du ein Prediger, welcher den Islam unter den Heiden verbreitet?“ fragte ich.
    „Ja; ich richte die Füße aller Menschen gen Mekka, der heiligen Stadt, ihre Augen auf den Koran, das Buch des Lebens, und ihre Seelen auf den Weg nach der Brücke des Siret, welche vom Tod in das Leben führt. Darum mußte ich jetzt der Weisung des Propheten gehorchen; ich durfte nicht fort; ich war gezwungen, zu bleiben, und sandte euch einen Boten, der euch zu mir bringen sollte.“
    „Du hattest einen schlechten gewählt. Er beleidigte mich, weil ich andern Glaubens bin.“
    „Du mußt ihm verzeihen, weil er ein Knabe ist, welcher die Bezähmung des Zornes noch nicht geübt hat. Ich bin bereit. Laßt uns gehen!“
    Er wollte voranschreiten, vielleicht um ein Gespräch zu vermeiden; da ich aber gerade beabsichtigte, ihn in ein solches zu verflechten, hielt ich mich an seiner Seite, so daß Selim hinter uns ging. Seltsamerweise schlug er ganz genau den Weg ein, welchen wir

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