27 - Im Lande des Mahdi I
sich tief. Er mußte ein sehr vornehmer oder sehr frommer Mann sein. Jedenfalls war es auffällig, daß er keinen Führer, keinen Begleiter hatte, und des Nachts allein durch die Wüste ritt. Jetzt drehte er sich zur Seite. Murad Nassyr erblickte sein Gesicht, sprang sofort auf und rief:
„Abd Asl! Bei Allah ist alles möglich; aber wie konnte ich ahnen, dich hier zu sehen?“
Der Andere drehte sich bei diesem Rufe vollends um, und nun sah auch ich seine Züge. Wahrhaftig, es war Abd Asl, der ‚heilige Fakir‘, welcher mich und Selim in den Brunnen bei Siut gelockt hatte, um uns in demselben umkommen zu lassen! Es zuckte in meinen Armen und Beinen, zu ihm hinzueilen, um Abrechnung mit ihm zu halten; aber das durfte ich nicht. Also darum war mir vorhin seine Stimme bekannte vorgekommen!
„Es Ukkazi!“ antwortete er im Ton des Erstaunens. „Sehen meine Augen recht? Du bist hier beim Bir Murret? Allah hat dich hergeführt, denn ich habe mit dir zu sprechen.“
Er Schritt auf Murad Nassyr zu und reichte ihm die Hand. Dieser schüttelte sie und entgegnete:
„Ja, Allah fügt dieses Zusammentreffen. Meine Seele freut sich deines Angesichtes. Du bist allein, und ich habe Dienerinnen bei mir. Sei mein Gast, und setze dich zu mir!“
Der Fakir nahm diese Einladung an. Er befahl den Wächtern, seinem Kamel den Sattel abzunehmen und es zu tränken, und ließ sich an der Seite des Türken nieder. Ich hatte jetzt doppelt Ursache, mich zu wundern. Erstens war sein Kamel, wie ich beim Schein der Fackel sah, ein noch wertvolleres Reitkamel als das meinige. Wie kam dieser Fakir, der als solcher doch ein Armer war, zu einem so kostbaren Tier? Und zweitens hatte er den Türken nicht Murad Nassyr, sondern El Ukkazi genannt. Ukkazi heißt Krücke und wird auch in dieser Bedeutung von Krüppel gebraucht. Woher hatte der Türke diesen Beinamen? Er besaß doch noch ganz gesunde Glieder!
Er ging selbst in das Zelt, um dem Fakir einen Tschibuk zu holen. Dieser hatte mir in Siut gesagt, daß er niemals rauche; jetzt aber nahm er die Pfeife an und qualmte bald wie einer, der auf Kontrakt zu rauchen hat. Jetzt war ich dem stacheligen Gebüsch nicht mehr gram. Ich lag höchstens fünf Schritte von den beiden entfernt und durfte hoffen, Interessantes zu hören.
Sie wechselten zunächst die allgebräuchlichen Redensarten; dann wurde gegessen, und die Kameltreiber zogen sich zurück. Als das Mahl eingenommen worden war, sah der Fakir sich forschend um und sagte:
„Was ich mit dir zu besprechen habe, ist nicht für jedermanns Ohr. Du hast ein Harem bei dir, können unsere Worte in demselben gehört werden?“
„Die Tochter meines Vaters bewohnt das Zelt; sie kann alles hören; aber ihre Sklavinnen sind bei ihr, und so ist es besser, wenn wir in das meinige gehen.“
Sie begaben sich in das Zelt, hinter welchen ich lag. Drin war es vollständig dunkel. Die Brunnenwächter hatten die Fackel wieder verlöscht; nun war es auch im Freien wieder finster, doch begannen die Sterne nach und nach heller zu glänzen. Ich schob mich bis an das Zelt und horchte. Sie sprachen drin, aber nur halblaut, und die Leinwand ließ ihre Worte nicht deutlich zu mir dringen. Ich wollte und mußte aber hören; darum versuchte ich, die Zeltwand zwischen zwei Pfählen emporzuheben. Es ging, und zwar so gut, daß ich den Kopf hindurchstecken konnte.
Zu sehen vermochte ich die beiden nicht, ihrem Stimmen aber entnahm ich, daß ich sie mit dem ausgestreckten Arm hätte erreichen können. Schade, daß ich den Anfang ihres Gespräches nicht gehört hatte, denn kein anderer als ich selbst war der Gegenstand desselben! Das hörte ich sofort aus den Worten des Fakirs:
„Da muß ich dich vor einem Menschen warnen, welcher mit dem Raïs Effendi im Bunde steht und zu ihm hinauf nach Khartum will, um Sklavenhändler abzufangen.“
„Solltest du denselben meinen, den auch ich kenne?“ fragt Murad Nassyr. „Ich weiß einen, vor dem ich auch dich zu warnen habe.“
„Wer ist er?“
„Ein Giaur aus Alemanja.“
„Allah! Es ist derselbe, von dem ich sprechen wollte. Wo hast du ihn kennengelernt?“
„In Kahira sah ich ihn wieder, aber ich habe ihn schon vorher in Dschezair (Algier) gesehen. Daß und wie du mit ihm zusammengetroffen bist, daß weiß ich ganz genau, denn er selbst hat es mir in Siut erzählt.“
„So, du trafst ihn nicht bloß in Kahira, sondern auch dann in Siut?“
„Er wartete in Siut auf mich, denn er sollte mich nach Khartum und von da
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