27 - Im Lande des Mahdi I
verstehen. Er spielte seine Rolle ausgezeichnet. Der Anführer bedeutete ihm lachend:
„Ängstige dich nicht; wir nehmen dir dein Essen nicht!“ Und sich an mich wendend, fragte er:
„Du heißt Saduk el Baija?“
„Ja“, antwortete ich erstaunt. „Woher weißt du das?“
„Und dein Begleiter heißt Ben Menelik?“
„Ja; aber woher weißt du das? Ich kenne dich nicht.“
„Ich weiß alles, und nichts, was in der weiten Wüste geschieht, kann mir verborgen bleiben“, antwortete er stolz. „Was tut ihr hier?“
„Wir – wir – wir essen, oder vielmehr wir aßen“, antwortete ich befangen.
„Das sehe ich! Aber ich will wissen, welche Absicht euch in das Wadi geführt hat.“
„Allah weiß es, frage ihn.“
Ich hatte so tun müssen, als ob das plötzliche Erscheinen dieser Leute mich überrascht habe, aber es lag ganz und gar nicht in meinem Plan, für einen furchtsamen Mann gehalten zu werden; darum gab ich jetzt diese kurzen Antworten.
„Allah zu fragen, ist schwer“, antwortete er rauh. „Dich zu fragen, ist leicht, und du hast mir zu antworten.“
„Wer will mich zwingen, zu sprechen, wenn ich schweigen will?“
„Ich!“
„Wer bist du?“
„Das geht dich nichts an!“
„So geht dich auch meine Person nichts an. Geh' also dorthin, wo du hergekommen bist!“
Ich riß Ben Nil den noch nicht ganz geleerten Topf aus der Hand, setzte mich nieder und zog mir so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei, mittels der krumm gebogenen Finger, mit denen ich den Napf auswischte, den Rest des Kleisters zu Gemüte. Das imponierte. Als ich dann nach edler Beduinenart das Gefäß gar auszulecken begann, rief der Mann aus:
„Beim Propheten, so ein Mensch ist mir noch gar nicht untergekommen! Höre, du Saduk el Baija, dein Leben hängt an einem einzigen dünnen Haar!“
„Das ist Kismet. Ich kann nichts hinzutun und nichts wegnehmen. Allah weiß es!“
„Wenn du mir nicht Rede stehst, wirst du erschossen!“
„Wenn es im Buch vorgezeichnet ist, erschieße ich dich, anstatt du mich.“
„Wie willst du das fertigbringen?“ lachte er. „Wir sind zehn Männer gegen einen Mann und einen Knaben.“
Er hatte den Kolben seines Gewehrs auf die Erde gesetzt und stützte sich mit den Armen auf den Lauf desselben. Seine Gefährten standen in genau derselben malerischen Haltung hinter ihm. Ben Nil handelte nach der ihm vorher erteilten Weisung. Er war weniger als ich beobachtet worden und hatte sich ganz in das tiefe Dunkel des Felsens zurückgezogen, an einer Spalte, bis wohin der Schein des Mondes nicht dringen konnte. Dort stand er mit angelegter und genau auf die Brust des Sprechers gerichteter Flinte.
„Lache nicht“, antwortete ich; „es ist mein Ernst. Macht nur ein einziger von euch Miene, sein Gewehr zu heben, so bist du eine Leiche, denn in diesem Fall wirst du augenblicklich die Kugel meines tapferen Ben Menelik, den du einen Knaben nennst, in das Herz erhalten.“
Jetzt sahen sie nach Ben Nil hin.
„Allah!“ rief der Anführer. „Ich schieße dieses Kind über – – –“
„Halt!“ unterbrach ich ihn, da er sein Gewehr aufnehmen wollte, in befehlendem Ton, indem ich rasch aufsprang und mein bereit liegendes Gewehr auch auf seine Brust richtete. „Zucke ja nicht mit dem kleinsten Glied! Zwei Kugeln sind dir gewiß! Ich glaube, es ist nicht mein, sondern dein Kismet, heute zu sterben. Ihr seid an den Unrechten gekommen. Ich bin nicht gewöhnt, zu gehorchen, wo ich befehlen kann. Laß deine Flinte fallen und befiehl deinen Leuten, dasselbe zu tun! Ist das, bis ich drei sage, nicht geschehen, so kann im nächsten Augenblick der Teufel deine Seele in der Dschehennah suchen. So wahr ich ein gläubiger Sohn des Propheten bin, ich halte Wort! Eins – zwei –!“
Man meint, daß solche oder ähnliche Szenen nur in Romanen vorkommen können; das ist sehr richtig, denn – das Leben ist der fruchtbarste und phantasiereichste Romanschreiber, welcher nicht, um eine unmögliche Situation zu ersinnen, ein Dutzend Gänsefedern zerkauen muß. Mein Ton und meine Haltung waren wohl der Art, daß kein Zweifel über die Schnelligkeit unseres Handelns aufkommen konnte; die beiden Flintenläufe wirkten überzeugend; wir brauchten nur den Zeigefinger am Drücker zu krümmen – kurz und gut, das Gewehr des Anführers entglitt seiner Hand und fiel nieder, und die langen Flinten seiner Leute folgten diesem Beispiel.
„So!“ nickte ich. „Nun tretet zehn Schritte zurück!“
Sie
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