27 - Im Lande des Mahdi I
gehöre.“
Er dachte jetzt nicht daran, daß Abd el Barak als Vorsteher der Kadirine eine bedeutende Macht besaß; das Renommieren war ihm zur zweiten Natur geworden, und da sich ihm jetzt eine Gelegenheit dazu bot, fiel es ihm nicht ein, dieselbe ungenützt vorübergehen zu lassen. Er streckte die geballte Hand gegen Abd el Barak aus und sagte:
„In diese Hand warst du schon längst gegeben. Ich durchschaute dich und hätte, wenn es mein Wille gewesen wäre, dich zerdrücken können, wie man einen Schwamm zusammendrückt. Aber ich war zu stolz dazu. Du warst nicht würdig, von meiner Hand berührt zu werden. Darum hob ich dich für diesen Effendi auf, der dich überwunden hat, wenn auch nicht so leicht und schnell, wie ich mit dir fertig geworden wäre. Du bist für mich wie eine tote Krähe, wie ein abgestandener Fisch, den man nicht riechen mag. Du wirst keine Nachkommen haben, und deiner Vorfahren wird kein Mensch gedenken. Aber wenn du gestorben bist, wird deine Seele als Geist spuken müssen in alle Ewigkeit. Das wird der Lohn deiner Taten sein, während man die meinigen verzeichnen wird in das Buch der Helden und in die Gedichte der Sieger und Eroberer!“
Kein Theaterheld hätte mit größerem Aplomb hinter den Kulissen verschwinden können, als Selim jetzt durch die Tür verschwand, um Murad Nassyr zu rufen. Abd el Barak sah ihm mit einem Blick nach, welcher nichts Gutes weissagte. Ich konnte mich jetzt nicht mit ihm, sondern ich mußte mich mit seinem Nebengespenst beschäftigen, denn der Mann regte sich noch immer nicht. Hatte ich ihn vielleicht totgeschlagen? Es wurde mir doch ein wenig angst. Ich untersuchte seinen Schädel; er war geschwollen, aber nicht zerbrochen. Das Herz schlug fühlbar und regelmäßig. Ah! Sollte der Mann sich verstellen, um, wenigstens einstweilen, der Demütigung zu entgehen? Ich nahm ihn beim Hals und drückte. Sofort riß er voller Angst, daß ich ihn erwürgen wolle, die Augen auf und gurgelte:
„Zu Hilfe, zu Hilfe, o Gott, zu Hilfe! Ich ersticke! Ich sterbe!“
Ich zog die Hand von seinem Hals und drohte:
„Wer sich tot stellt, der mag sterben. Behalte die Augen offen, wenn du nicht willst, daß ich sie dir für immer schließe! Gespenster finden bei mir keine Gnade.“
Es versteht sich ganz von selbst, daß die schwarzen Geschwister jetzt aufgewacht waren. Sie saßen in ihrer Ecke und betrachteten mit ängstlich aufgerissenen Augen die für sie furchterweckende Szene; aber einige Worte von mir genügten, sie zu beruhigen.
Jetzt nun konnte ich Abd el Barak den Knebel aus dem Mund nehmen. Hätte ich bisher noch besorgt, daß er mir wegen der im Bierhaus stattgefunden Szene gefährlich werden könne, so war nun jede Veranlassung zu dieser Befürchtung verschwunden; ich hatte den Mann in meiner Hand und durfte annehmen, daß er sich hüten werde, etwas gegen mich zu unternehmen, nämlich offen; seine heimliche Gegnerschaft stand mir noch immer und nun erst recht bevor. Selim war nach der Säulenhalle gegangen, um von da aus durch Klopfen Einlaß bei Murad Nassyr zu begehren. Jetzt erschien er unter meiner Verbindungstür, um mir zu sagen, daß sein Herr mich erst zu sprechen begehre, bevor er die gefangenen Gespenster sehen wolle.
„So mußt du einstweilen hier bleiben“, beschied ich ihn.
„Richtig, sehr richtig“, antwortete er, indem er mir seit vorigem Tag die erste Verbeugung machte. Er hatte bei der Aufregung der letzten Stunde die altgewohnte Höflichkeit ganz außer acht gelassen.
„Ich hoffe, daß ich dir diese Gefangenen anvertrauen darf?“
„Mit vollstem Recht, Effendi. Ich werde sie erwürgen, sobald sie nur ein Wort sagen oder eine falsche Bewegung machen. Du darfst versichert sein, daß ich zum Hüter solcher Missetäter wie geschaffen bin. Ein einziger Blick aus meinem Adlerauge genügt, sie in die größte Angst und Bangigkeit zu versetzen. Erlaube mir aber, vorher meine Waffen zu holen!“
„Das ist ja gar nicht nötig; sie sind doch gefesselt!“
Der andere Geist war nämlich auch gebunden worden.
„Das weiß ich sehr wohl, Effendi; aber die Waffen verdoppeln die Würde des Mannes und geben seinen Geboten den Nachdruck, den sie haben müssen.“
Es war klar, er fürchtete sich, mit diesen beiden hilflosen Männern allein zu sein; er brachte also sein ganzes Arsenal geschleppt, und dann ging ich zu Murad Nassyr, dessen Wohnung ich jetzt zum erstenmal betrat. Sie war ebenso fein und bequem eingerichtet wie die meinige. Er stand
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