27 - Im Lande des Mahdi I
werde, wickelte ich ihn auf und zerrte ihn hinaus in den Hof, wohin er mir wimmernd folgte. Aber als er da beim Sternenschein mich erkannte, richtete er sich stolz auf und sagte:
„Effendi, was hast du gewagt!“
„Nichts, gar nichts!“
„Sehr viel, o sehr viel! Preise Allah, daß du noch am Leben bist! Ich habe dich sofort an der Stimme erkannt. Hätte ich dich aber für den Geist gehalten, so wäre deine Seele wie Rauch aus deinem Leib gefahren, denn ich bin fürchterlich in meinem Zorn und entsetzlich in meinem Grimm!“
„So fürchtest du dich also nicht vor einem Gespenst?“
„Ich mich fürchten? Das kannst du fragen! Ich nehme es mit allen Geistern und Drachen der Hölle auf.“
„Das ist mir außerordentlich lieb, denn du sollst mir den Geist in meine Stube tragen helfen.“
„Den Geist?“ fragte er, indem er plötzlich um eine Viertelelle kleiner wurde. „Du scherzt! Wer kann einen Geist tragen?“
„Ich kann es, und du kannst es auch. Dort liegt er, schau hin! Wir wollen ihn in das Zimmer bringen.“
Er folgte mit seinem Blick meiner ausgestreckten Hand und sah die hell gekleidete Gestalt liegen.
„Hilf uns, o Herr, begnadige uns mit deinem Segen!“ rief er aus, indem er beide Hände abwehrend von sich streckte. „Kein Befehl des Padischah, kein Gebot und kein Gesetz kann mich dorthin zu der Stelle bringen, an welcher dieser oberste der bösen Geister liegt.“
„Es ist ja gar kein Geist, sondern ein Mensch!“
„Aber du nanntest ihn ein Gespenst!“
„Er hat Gespenst gespielt, um euch in Furcht zu jagen.“
„So sage mir vorher, wie er heißt, wo sein Stamm wohnt und welchen Namen sein Vater und der Vater seines Vatersvaters trägt! Eher kann ich ihn nicht für einen Menschen halten.“
„Das ist alles Unsinn! Er ist ein Mensch. Ich habe ihn besiegt und mit dem Gewehr niedergeschlagen. Und drin in meiner Stube liegt ein zweiter, dem es ebenso ergangen ist.“
„So bist du verloren. Sie haben sich nur zum Schein besiegen lassen und werden über dich und deine Seele herfallen, um sie in Stücke zu zerreißen und in alle Winde zu zerstreuen!“
„So gehe wieder zu deinem Lager und stecke dich unter deine Decke! Sage mir aber niemals wieder, daß du der berühmteste Held deines Stammes seist!“
Ich ließ ihn stehen, ging zu dem Geist Nummer Zwei, nahm ihn auf die Achsel und trug ihn fort, nach meinem Zimmer, wo ich ihn niederlegte. Meine letzten Worte waren doch nicht ohne alle Wirkung auf Selim geblieben. Er kam mir, wenn auch zögernd, nach und blickte vorsichtig durch die halb offen gelassene Tür. In der Nähe derselben lag Abd el Barak. Selim erkannte dessen Gesicht. Sehr bedächtig, einstweilen nur den einen Fuß in die Stube setzend, fragte er erstaunt:
„Ist das nicht Abd el Barak, der Vorsteher der heiligen Kadirine? Wie kommt er hierher, und wer hat ihn in Banden geschlagen?“
„Ich, weil er der Geist ist, welcher in diesem Haus spukte. Er kam zu mir herein und wollte mich erstechen. Da habe ich ihn unschädlich gemacht. Er hatte noch zwei Geister mit, diesen hier, den ich niedergeschlagen habe, und einen andern, der mir über die Gartenmauer entkommen ist.“
Jetzt schien dem ‚größten Helden seines Stammes‘ ein Licht aufzugehen. Er kam vollends herein, stellte sich vor mich hin und sagte:
„Effendi, du bist zwar kein rechtgläubiger Moslem, aber Allah scheint dich doch in seinen ganz besonderen Schutz genommen zu haben, sonst wärst du jetzt eine Leiche und lägest draußen, starr wie ein Klotz, niedergestreckt von meiner tapfern Hand, welche unüberwindlich ist.“
Und als ich lächelnd die Achsel zuckte, fuhr er fort:
„Bezweifelst du das etwa? Du bist draußen im Hof gewesen. Wehe dir, wenn ich dich gesehen und für den Geist gehalten hätte! Deine Gebeine wären zertrümmert unter meinen gewaltigen Streichen, und deine zermalmte Seele wäre von hinnen gegangen wie ein zusammengeknülltes Stück Papier. Kein Schöpfer hätte dich in dieser Gestalt wiedererkannt, und es wäre dir keine Stätte geworden im Land des jenseitigen Lebens. Allah hat dich behütet, und darum solltest du das Christentum verlassen und den wahren Glauben annehmen, welcher seine Bekenner zu Helden macht, die jeden Gegner überwinden.“
„Um ein Held wie du zu werden, braucht niemand einen anderen Glauben anzunehmen. Gehe jetzt, um deinen Herrn herbeizuholen! Ich will ihm zeigen, welcher uns weismachen wollte, daß er in das Reich der abgeschiedenen Seelen
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