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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gewinkt hatte. Es war interessant, zu beobachten, wie das Gesicht des Raïs Effendina zeigte, daß seine Aufmerksamkeit von Minute zu Minute gespannter wurde. Er unterbrach mich mit keinem Wort, mit keinem noch so kurzen Ausruf; aber als ich bis dahin gekommen war, daß ich den Raïs, den Steuermann und den Kajütendiener belauschte und nun berichtete, was sie gesprochen und beschlossen hatten, da legte er mir die Hand auf den Arm und bat:
    „Entschuldige einen Augenblick!“ Und sich zu seiner ‚rechten Hand‘ wendend, gebot er: „Eile rasch auf unseren Falken, und hole zehn Mann herbei, um die Dahabiëh zu besetzen! Ich werde die Bande zwingen, an Allah und alle seine neunundneunzig erhabenen Eigenschaften zu denken. – Und nun, Effendi, fahre fort!“
    „So bist du nicht auch Mitglied der frommen Kadirine?“ fragte ich ihn.
    „Nein. Ich bin überhaupt nicht Mitglied einer Bruderschaft. Mohammed war ein Prophet, und Johannes war ein Prophet. Allah ist die Liebe und die Gerechtigkeit, und dein Gott ist Allah. Wir Menschen sind alles Gottes Kinder; wir sollen einander lieben und gerecht gegeneinander sein. Ich preise meinen Glauben nicht und schände keinen anderen; ich mag nicht bekehren und lasse mich nicht bekehren. Meine Augen können nur das Irdische sehen und werden erst, wenn ich gestorben bin, das Himmlische erblicken. Warum soll ich darüber streiten, wer Gott in der rechten Weise anbetet? Wir sind eine einzige große Familie und haben einen einzigen Vater. Jedes Kind hat seine besonderen Gaben und Eigenschaften und spricht in seiner besonderen Art und Weise mit dem Vater. Gib mir die Hand Effendi! Du bist ein Christ, und ich bin ein Moslem; aber wir sind Brüder und gehorchen unserem Vater, weil wir ihn lieben!“
    Er reichte mir seine Hand, und ich legte die meinige in dieselbe. Hätte ich das nicht tun, hätte ich ihm sagen sollen, daß ich ihm als Christ nicht beistimmen könne? Nein; ein solches Wort sagt man nicht in solchen Augenblicken. Indem ich schwieg, wurde ich nicht Mohammedaner; aber indem ich ihn reden ließ, gab ich ihm Gelegenheit, fast wie ein Christ zu sprechen. Indem er sich von der Aggressivität des Islam lossagte, hörte er auf, ein Mohammedaner zu sein. Er tat einen großen Schritt zum Christentum herüber, und durch eine Gegenrede hätte ich ihn nur veranlaßt, diesen Schritt zurück zu tun. Man ist nicht Lehrer, nicht Missionar durch Worte allein; man lehrt auch durch die Tat; ja, die Tat wirkt oft mächtiger als das Wort, und zuweilen ist auch das Schweigen eine Tat, wenn auch nur eine Tat, welche Ärgernis verhindert.
    Ich erzählte weiter. Gerade als ich geendet hatte, kehrte die ‚rechte Hand‘, der ‚Liebling‘ zurück. Er postierte seine zehn bewaffneten Männer auf verschiedene Stellen des Decks, wo sie, um vom Ufer aus nicht bemerkt zu werden, sich hinter den hohen Bord niedersetzten. Dann kam er zu uns herauf und meldete:
    „Emir, das Schiff ist besetzt; aber als wir jetzt kamen, stand da drüben unter dem Baum ein Mensch, welcher scharf nach der Dahabiëh blickte. Das kam mir verdächtig vor, ich befahl, ihn zu ergreifen, doch er floh noch zur rechten Zeit. Wenn Allah mir gute Augen verliehen hat, so kann ich darauf schwören, daß es derselbe Mensch war, welchen wir schon vorhin sahen, bevor wir das Schiff betraten.“
    „Also der Taschendieb? Wie schade, daß er euch entgangen ist! Er weiß nun, in welcher Hand sich die Dahabiëh befindet und wird sich aus dem Staub machen. Aber morgen bin ich in Kahira und werde ihn festnehmen lassen.“
    „Wenn du ihn findest!“ warf ich ein.
    „Oh, ich finde ihn. Ich bringe die ganze Polizei in Alarm, und wo dieser Kerl sich herumzutreiben pflegt, das weiß man ziemlich genau. Also Effendi, du bist nun fertig. Ich weiß was geschehen ist; aber ich weiß auch noch etwas, nämlich, daß du ein Mann bist, den ich auf meinem ‚Falken‘ haben möchte. Willst du mein Lieutenant sein?“
    „Leider ist mir das unmöglich.“
    „Ich weiß, warum. Lieutenant, das ist nichts. Aber ich kann doch unmöglich sagen, daß du meinen ‚Falken‘ kommandieren sollst, und daß ich dein Untergebener sein will!“
    „Es ist wohl beides unnötig, denn ich denke, daß du bereits einen Lieutenant haben wirst.“
    „Den habe ich allerdings. Aber so will ich dich wenigstens fragen, ob du nicht Lust hast, meine jetzige Fahrt nach dem Obernil mitzumachen.“
    „Lust wohl, aber ich darf nicht.“
    „Wegen dieses Türken? Weil du ihm dein

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