272 - Dieser Hunger nach Leben
schön war, besuchte sie reichere Männer in ihren Häusern, aber was sie nach Hause brachte, reichte nicht aus, weswegen meine Brüder zum Stehlen gingen.
Als ich das elfte Lebensjahr erreicht hatte, stritten sich meine Eltern fürchterlich und zuerst wusste ich nicht, um was es ging. Nachdem mein Erzeuger mãe fürchterlich verprügelt hatte, zog er mich am Arm zum Eselskarren und spannte unser uraltes Grautier an. »Wir machen jetzt eine Reise, du und ich«, sagte er aus seinem zahnlosen, stinkenden Mund zu mir. Und als ich mich weigern wollte, band er mich mit Stricken an das Holzgitter, das die Ladefläche umgab. Ich weinte den ganzen Tag, aber es war ihm egal. Vier Tage waren wir so unterwegs; ich erfuhr nur, dass unsere Reise nach Lisboa gehen würde.
Als wir in der Stadt ankamen, hatte ich große Angst. So viele elegant gekleidete Menschen hatte ich nie zuvor auf einem Fleck gesehen, so viele schöne Gebäude und stolze Segelschiffe im Hafen. Doch ich landete da, wo ich herkam: im Schmutz. Mein Erzeuger verkaufte mich nämlich an ein Hafenbordell, wo ich fortan allen möglichen Männern und auch solchen, die höchstens die Bezeichnung Tiere verdienen, zu Diensten sein musste. Und hätte sich nicht eine der Frauen dort liebevoll um mich gekümmert, ich hätte das erste halbe Jahr nicht überlebt.
So ging es fünf Jahre lang. Und da ich mich zu einer ebenso schönen Frau wie meine mãe entwickelte und mir kein Kniff zu schade war, den Besuchern höchste Lust zu bereiten, wurde ich an ein Freudenhaus in Spanien verschachert, in dem die Senhores der höheren Gesellschaft ein und aus gingen. Ich war schon bald die Attraktion des Grünen Kakadu in Palos de la Frontera und viele Männer kamen nur wegen mir. Doch war ich nicht nur raffiniert, sondern auch klug genug, um mich zur Ersten Dame im Grünen Kakadu hochzuarbeiten.
So kümmerte ich mich bald um die Geschäfte, entschied, welche von den Mädchen, die uns angeboten wurden, künftig bei uns arbeiteten, und musste deswegen nur noch meinen Hintern verkaufen, wenn es mir selbst beliebte. Ich tat es für besondere Gäste, an denen mir etwas lag.
Einer von ihnen war Juan, ein abgehalfterter Hidalgo aus Aragonien, der es aber nichtsdestotrotz verstand, mich mit seinem Mundwerk und seinem Charme zu bezaubern. Bei der Jungfrau Maria, ich muss verliebt in ihn gewesen sein, denn sonst wäre ich niemals auf sein verhängnisvolles Angebot eingegangen.
Cristóbal Colón, der Entdecker, hatte im vergangenen Jahr Indien entdeckt und war bei seiner Rückkehr triumphal empfangen worden. Nun plante er eine zweite Reise in die Neue Welt und wollte Leute gewinnen, die sie besiedelten. Juan schwärmte mir von Gold, Silber und anderem unermesslichen Reichtum vor, der in der Neuen Welt zu verdienen sei, und so sagte ich zu, mit ihm an Bord eines der Schiffe zu gehen, die Colón nach Las Indias führte.
Doch einer der Hidalgos an Bord kannte mich aus dem Grünen Kakadu und schon bald fielen die Matrosen über mich her. Da dies mit Billigung des Capitáns geschah, musste ich es erdulden, zumal Juan, der mich beschützen wollte, eines Morgens plötzlich verschwunden war, mit großer Sicherheit über Bord geworfen.
Einer der Matrosen, der ein wenig portogue sprach, verpasste mir den Namen Garota, was in der Sprache meiner Heimat Dirne bedeutet. So nannten mich fortan alle. Hätte ich auf dem Schiff nicht das Mädchen Carla kennengelernt, das gut mit Hunden umzugehen verstand, sich als Junge verkleidete und mir eine Freundin wurde, ich hätte die fürchterlichen Tage auf dem Ozean wohl nicht überlebt.
In La Isabela, dieser elenden Neugründung in einem atemberaubenden Land, kam ich zusammen mit den dafür vorgesehenen Dirnen in ein Freudenhaus, das nicht mehr als ein schmutziger Verschlag war. Bereits am dritten Tage machte ich die Bekanntschaft des Hidalgos Hugo Christiane de Almeida, eines Offiziers, der beste Beziehungen zu Cristóbal Colón pflegte und von dem Genueser zum obersten commandante der Soldaten ernannt wurde, nachdem sich der alte sturzbetrunken das Genick gebrochen hatte.
Almeida war so von meinen Künsten angetan, dass er von nun an eifersüchtig über mich wachte und mich keinem anderen Manne mehr gönnte. Das tat er, indem er mich zu sich in sein eigenes Haus nahm und mich eher als seine Frau denn als Hure behandelte. Es dauerte nur wenige Wochen, dann heiratete er mich sogar.
Ich ersann dafür, wie es mein Talent ist, immer neue Raffinessen, um ihn zu
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