272 - Dieser Hunger nach Leben
unterhielten sich über Maddrax, Aruula und Rulfan - oder genauer: Maddwax, Awuula und Wulfan, denn die Lords konnten kein »r« aussprechen -, die bereits am Morgen mit zwei Horseys aufgebrochen waren. Die Sterne leuchteten über ihnen am wolkenlosen Himmel und glitzerten genauso wie der fast volle Mond auf der dunklen Wasseroberfläche der Themse.
Paacival dachte unbehaglich an Alizan, dem die Taratzen den Kopf abgeschnitten hatten. Würde der Druud nun als Rachegespenst zurückkommen? Im Kopf lebte schließlich der Geist, und wer nicht am Stück beerdigt wurde, fand niemals Frieden.
Dem Grandlord lief es eiskalt über den Rücken. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ihn Djeyms auf einen Schatten aufmerksam machte, der über dem Wasser schwebte und der den Umriss eines menschlichen Körpers besaß! Alizans Geist, kein Zweifel!
Die beiden Lords erhoben sich ruckartig und waren doch so voller Schrecken, dass sie nicht augenblicklich herumfuhren und die Flucht ergriffen. So konnte der Schatten sich weiter nähern und seine Hand nach Djeyms ausstrecken. Als er ihn berührte, begann der Biglord grässlich zu röcheln.
Der Schatten schien für einen Moment bläulich aufzuleuchten. Und Grandlord Paacival erkannte: Es war nicht der Geist des Druiden! Es musste ein Dämon sein, der sie töten wollte! Maddrax hatte von versteinerten Menschen erzählt, die sie auf der Insel Guunsay und an der Südküste gefunden hatten. Und tatsächlich wurde auch Djeyms zu Stein, kaum dass der Schatten ihn angefasst hatte!
Noch immer waren Paacivals Beine wie gelähmt. Der Dämon ließ von Djeyms ab, kam näher! Und hinter ihm, auf den dunklen Wassern der Themse, erschien ein noch viel größerer Schatten… der eines geisterhaften Schiffes!
Paacival schrie auf und wich endlich zurück. Wie von Furien gehetzt rannte er zu den Ruinen hinüber, in denen seine Sippe hauste.
Das Warnsystem der Sippe, überlebenswichtig in diesen unsicheren Zeiten, funktionierte auch in diesem Fall bestens. Auf Paacivals Schreie hin stürzten alle Sippenmitglieder aus ihren Häusern und versammelten sich auf einem freien Platz.
»Schnell weg!«, rief der Grandlord. »Gwoße Gefaah kommt vonne Themse hea! De Dämonen vonnem Oaguudoo sin hea! Haut ab, so schnell ia könnt!«
Die Lords ließen alles stehen und liegen und flüchteten in die Ruinen. Als die Schatten auf dem freien Platz eintrafen, war das Dorf bereits geräumt.
Mutter hatte sich in der Zwischenzeit die Tachyonenspuren des Biglords einverleibt, die der Schatten de Javier ihr geliefert hatte. Gerne hätte sie mehr davon gehabt, aber die Verfolgung der Lords hätte weitere Zeit gekostet; außerdem war nur noch ein weiterer von ihnen mit Tachyonen behaftet. Sie wollte den starken Glanz verfolgen, der nordwärts strebte. Noch einmal sollte er ihr nicht entkommen!
So segelte die schwarze Karavelle auf der Themse zurück zur Nordsee und dann die Ostküste Britanniens hinauf. Mutter hoffte, dass sie den leuchtenden Glanz irgendwo an der Küste stellen konnte.
***
Geschichte der Hure Garota
Einst hieß ich Lúcia. Oder Maria? Heute, da ich mich an Deck des Schiffes Doña Filipa befinde, kann ich mich nicht mehr an den Namen erinnern, auf den meine mãe mich einst taufen ließ. Der Pfaffe hat mich danach gefragt. Seltsam, in all den Jahren ist er der erste Mann überhaupt, der meinen richtigen Namen wissen will.
Ich mag ihn dennoch nicht leiden, da er mich ständig spüren lässt, dass ich eine Sünderin bin. Dabei hat er in der Neuen Welt selbst zügellos der Fleischeslust gefrönt, wie ich erfahren habe. Wenn auch unter dem Deckmantel, damit den Indiofrauen den wahren Glauben zu bringen. Pah!
Zudem hatte der Pfaffe die Wahl, etwas aus seinem Leben zu machen, denn er ist von höherem Stand und weiß vieles von der Welt, was mir auf ewig verborgen bleibt. Ich hatte diese Wahl nicht, denn ich wurde in dem schmutzigsten Stadtteil von Coimbra in die schmutzigste Hütte hineingeboren. Mein pai , den ich einen solchen gar nicht nennen will, war ein Tagelöhner, der kaum einmal Arbeit hatte und sich deswegen schon morgens betrank. Dann hatte er nichts Besseres zu tun, als meiner mãe beizuliegen und insgesamt siebzehn Kinder zu zeugen, von denen ich eines bin. Nachdem er meine mãe auf seine brutale Art beschlafen und einige von uns grün und blau geprügelt hatte, verschlief er den späten Nachmittag und die ganze Nacht und so konnte mãe das Essen beschaffen, um uns alle durchzubringen. Da sie
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