2721 – Der Paradieb
eingebaut hatte, abtransportieren. Bald fielen ihm die Augen zu, und langsame, regelmäßige Atemzüge verrieten, dass er eingeschlafen war.
Das ausgedehnte Gelände der Universitätsklinik Terrania City wurde vom milden Schein zahlreicher Laternen beleuchtet. Die Nacht war angebrochen, doch Luna stand nicht am Himmel; nicht mehr. Der Mond hatte das Solsystem verlassen, vor nunmehr knapp drei Wochen.
David Kupferblum vermisste den grünlich kränklichen Schein des vom Technogeflecht überwucherten Erdtrabanten nicht im Geringsten. Vielmehr fühlte er sich, als wäre er von einem langen Albdruck erlöst worden. Gewiss erging es den allermeisten auf Terra ebenso.
»Die Startac«, wie die kleine, nur Eingeweihten bekannte Klinik für Paramentale Syndrome genannt wurde, lag inmitten eines für das Publikum nicht freigegebenen Parks, der offiziell als Biotop seltener Gewächse ausgewiesen wurde. Das niedrige schneeweiße Gebäude, das entfernt an eine sich öffnende Lotosblüte erinnerte, war auf den allgemein verfügbaren Plänen nicht eingezeichnet. Besucher konnten es nur durch einen langen, unterirdischen Gang betreten, der im Keller des Verwaltungsgebäudes der Medizinischen Fakultät begann. Der Zugang wurde schwer bewacht, ebenso wie die subplanetaren Verbindungsstollen zum TIPI.
Nachdem Kupferblum sich und Severin identifiziert hatte, ließen die Wachleute sie passieren. Der Tunnel mündete im Zentrum des stilisierten Blütenkelchs. Reflektierende Elemente in der Dachverglasung spiegelten das Funkeln der Lichterflut Terranias herab.
Über eine sanft ansteigende schneeweiße Rampe gelangten sie ins Foyer, wo eine Ärztin vom Nachtdienst sie bereits erwartete. Kupferblum hatte ihre Ankunft avisiert.
Die zierliche, schneeweiß gekleidete Frau stellte sich als Dr. Dr. Dea Pavlidis vor. »Und das ist also Severin Fock. Der blinde Seher.«
»Ja. Er hat sich eine Kopfverletzung zugezogen.«
»Unverkennbar.« Sie beugte sich über die Trage. »Die Platzwunde wurde ordentlich versorgt. Aber wir behalten ihn auf jeden Fall über Nacht hier unter Beobachtung. Bei Parasensiblen ist mit Gehirnerschütterungen nicht zu spaßen. – Was ist passiert?«
»Nun ...« Kupferblum überlegte, wie weit er ausholen sollte. »Kennst du Severins Vorgeschichte?«
»Nach deinem Anruf habe ich die Unterlagen quergelesen. Der Junge verfügt über eine spezielle telepathische Fähigkeit.«
Vorsichtig hob Pavlidis die dunkle Brille ab. Darunter kamen leere Augenhöhlen zum Vorschein, flache, mit rosafarbener Haut überzogene Mulden.
»Er orientiert sich anhand der Gedanken und kurzzeitigen Erinnerungen der Personen in seiner Umgebung«, erläuterte Kupferblum. »So sieht er sich selbst, wo er sich befindet und was er tut, aus vielen Blickwinkeln gleichzeitig. Irgendwie schafft sein Gehirn es, mit den telepathischen Eindrücken zu jonglieren und sie auf einen Nenner zu bringen.«
»Eine Art paraoptisches Multitasking. Erstaunlich. Ich werde schon kirre, wenn ich vier oder fünf Monitoren simultan überblicken soll.«
»Im Bildersehen, wie Seve es nennt, ist er richtig gut. Darüber hinaus nimmt er auch Emotionen wahr. Mit dem Entziffern von verbal formulierten Gedanken hingegen hapert es einstweilen noch.«
»Man kann nicht alles haben. Und wenn du mich fragst, ist das ganz gut so.« Sie deutete auf das seitlich an der Trage fixierte Surfbrett. »Lass mich raten – Sportunfall?«
»An sich ist Severin ein wahres Ass im Gravokubus. Er findet sich darin sogar erheblich leichter zurecht als Normalsehende. Heute hatte er allerdings Pech. Während seines letzten Rennens verringerte sich die Zahl der Anwesenden unvermittelt, sodass er telepathisch nicht mehr genügend Informationen bekam. Deshalb ist er gegen ein Hindernis geknallt.«
»Verstehe. Das wird ihm hoffentlich eine Lehre sein. – Wir werden den Jungen gründlich untersuchen und morgen früh einige Testreihen durchlaufen lassen. Falls alles gut ausgeht, schicke ich ihn gegen Mittag wieder zu euch hinüber. Selbstverständlich bekommt Professor Athapilly so schnell wie möglich Bescheid.«
Kupferblum bedankte sich erleichtert, da er Severin in guten Händen wusste.
2.
Eine Idee
29. August 1514 NGZ
Orest Athapilly, der Direktor des TIPI, war 75 Jahre alt, sah jedoch um einiges jünger aus. Sein Markenzeichen, die stets auf Hochglanz polierte Glatze, wurde nur von dem breiten Lächeln überstrahlt, das er fast immer zur Schau trug. Die Person, die ihn nicht auf
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