2726 - Totentanz
für Vetris.
Gut für Schechter.
16 Uhr
Es wurde still. Totenstill, dachte Schechter in einem Anflug von Humor. Die Mitglieder der Ehrengarde nahmen rund um den Tomopaten Haltung an. Als ob Vetris es auch nur wahrnahm, als er die Plattform betrat und zu seiner Position ging. Dort sollte er zu seinem Volk reden und den Zellaktivator erhalten.
Keine Wachtposten begleiteten ihn, keine Kampfroboter der üblichen Art – aber rund um seine Füße huschten einige seiner biotechnoiden Leibwächter her. Es waren kleine Exemplare, wie er sie gerüchteweise auch in seinem Kabinett hielt. Die meisten Technoskorpione waren größer, manche beinahe mannsgroß.
Schechter versuchte ihre genaue Anzahl zu erkennen. Er scheiterte, weil sie sich zu schnell und in zu verwirrenden Mustern bewegten. Außerdem versteckten sich zweifellos weitere an anderen Stellen der Plattform, bereit, aus dem Hinterhalt sofort einzugreifen.
Vetris erreichte seinen vorbereiteten Platz. Kurz flimmerte die Luft um ihn, als sich der Individualschutzschirm schloss. Schechter schätzte die Strecke, die ihn von dem Tamaron trennte, auf fünfzig, maximal sechzig Meter.
Es könnten ebenso viele Kilometer sein oder Lichtjahre im All – nicht auf die Entfernung kam es an, sondern auf die Vorbereitungen, diese zu überwinden.
Schutzschirme. Wachtposten. Roboteinheiten. Skorpione ... und ihnen stand ein unbewaffneter Attentäter entgegen.
Ein Attentäter mit einem guten Plan.
Noch jemand betrat die Plattform; im letzten Moment, ehe sie vom Boden abhob und die Reise vom Sternhafen bis zum Thorm antrat. Als sie ihre endgültige Position einnahm, stand Ashya Thosso, die tefrodische Sorgfaltsministerin, im Rampenlicht. Dies waren ihre großen Minuten, der Auftritt ihres Lebens. Ihre Rede markierte das Ende der Vorfeierlichkeiten, den Beginn der eigentlichen Zeremonie.
Äußerlich schien Ashya Thosso im ersten Moment unauffällig zu sein. Kaum begann sie zu sprechen, konnte sich niemand mehr ihrem Bann entziehen. In ihrer mütterlichen, freundlichen Art lag etwas, das einen geradezu zum Zuhören zwang – und man glaubte ihr auf Anhieb jedes Wort. Für die Arbeit einer Propagandaministerin, wie ihre Position im Widerstand gelegentlich umschrieben wurde, war sie wie geschaffen.
Schechter hörte ihr kaum zu. Er musste sich auf andere Dinge konzentrieren. Der große Moment nahte. Weniger als eine Stunde, bis es begann. So nahm er nur Fetzen aus Thossos Rede wahr, hörte von den Großtaten des Tamarons, der die Tefroder endlich wieder an die Stelle führte, wo sie hingehörten.
»Das Tamanium hat seine Grenzen noch lange nicht erreicht«, sagte die Sorgfaltsministerin gerade und rückte die antiquierte blaue Brille zurecht, die wie bei fast allen öffentlichen Auftritten in ihrem rötlichen Haar steckte. Es galt als ihr Markenzeichen, eine Marotte, die von den meisten als liebenswert empfunden wurde; nie hatte sie jemand mit der Brille vor den Augen gesehen. »Vetris-Molaud, unser Tamaron, wird den Tefrodern den Weg zu den Sternen ebnen, der eben erst begonnen hat. Die Unsterblichkeit, die heute auf ihn wartet, wird ...«
Nicht auf ihn, dachte Schechter.
Die Sorgfaltsministerin sprach von den düsteren Zeiten der Bedeutungslosigkeit und malte die Zukunft in den strahlendsten Farben aus. Sie vergaß nicht, das segensreiche Wirken des Atopischen Tribunals zu erwähnen, und dabei klang sie, als hätte der Tesqire Dhayqe ihr die Worte in den Mund gelegt.
Dieser Werber des Tribunals stand ebenfalls auf der Plattform, sogar weniger bewacht als die Ehrengarde, ganz in der Nähe der Partnerinnen des Tamarons. Schechter beobachtete ihn, doch Dhayqe war zu weit entfernt, um Details in dem blau geschuppten Gesicht zu erkennen.
Als Ashya Thosso ihre Rede beendete, wurde sie viel bejubelt. Sie nahm es mit mütterlicher Bescheidenheit und einem kleinen, feinen Lächeln hin, das auf Dutzende Holos übertragen wurde, auf denen die Massen dem Staatsakt folgten. Schechter fragte sich, ob es auch ein echtes Lächeln war.
Nachdem die Sorgfaltsministerin aus dem Fokus der Aufzeichnungsgeräte trat, toste der Applaus.
Und als er zu seinen Zuschauern, seinen Fans übertragen wurde, brandete die Welle der Begeisterung erst richtig los. Vetris-Molaud strahlte die Zuversicht eines Mannes aus, der bereit war, in die Zukunft zu gehen und sein ganzes Volk zu führen.
Der Held.
Der Herrscher.
Der Diktator?
Diese Frage stellte sich wohl kaum jemand während dieses
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