275 - Licht und Schatten
sich verzogen. Sie hätte die Scheibe einschlagen müssen - und damit ihr Versteck verraten.
Atemlos beobachtete sie, wie die beiden Männer und die Bewusstlose auf dem Wehrgang ankamen. Von den Schattengestalten war nichts zu sehen. Befanden sie sich bereits im Gebäude?
Sie beobachtete weiter. Ein Laut der Überraschung kam über ihre Lippen, als sie sah, dass Hermon seine Menschengestalt ablegte, zum schuppigen Echsenwesen wurde. Aber vermutlich war keiner von ihrem Volk in der Nähe, um es zu sehen.
Als Daa'mure Grao'sil'aana schwang er sich über die Zinnen. Bahafaa sah, dass Maddrax ihm die bewusstlose Aruula anreichte. Was jenseits der Mauer geschah, konnte sie nicht erkennen. Grao tauchte ab, aber schon kurz darauf tauchten seine Pranken wieder auf und nun stieg Maddrax über die Mauer und verschwand zusammen mit ihm.
Was hatten die drei vor? Wollten sie sich aus dem Staub machen und das Volk der Dreizehn Inseln im Stich lassen? Nein, niemals würde Grao so handeln! Nur eine weitere Erklärung fiel ihr ein: Sie versuchten die Schattenwesen auf sich zu ziehen, um den anderen die Flucht zu ermöglichen.
»O Wudan, steh ihnen bei«, flüsterte Bahafaa. Sie presste die Fäuste an ihre Lippen und biss sich in die Fingerknöchel.
Die Sehnsucht nach dem Geliebten überwältigte sie. Ein Schatten fiel auf ihr Gemüt - und warum ließ Hermon sie hier allein zurück? Vielleicht würden sie heute sterben müssen. Dann wollte sie wenigstens bei ihm sein, unbedingt!
Sie war schon im Begriff, sich vom Fenster abzuwenden und zur Tür zu schleichen, da nahm sie jenseits der Festungsmauer eine Bewegung war. Sie verharrte und spähte - und stieß einen unterdrückten Schreckensschrei aus: Ein mächtiges Raubtier trottete draußen im Weideland in ihr Blickfeld, weißgrau, pelzig, mit mächtigem Schädel und Furcht erregendem Gebiss.
Ein Izeekepir!
Bahafaa hielt den Atem an. Jetzt blieb der Raubpelz stehen, äugte um sich. »Bei Wudan - wo bist du, mein Geliebter?«, flüsterte sie. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Auf einmal tauchte Maddrax neben dem Tier auf - Bahafaa traute ihren Augen nicht. Der blonde Mann legte Aruula auf den Rücken des Izeekepirs, kletterte dann selbst auf den Raubmutanten und hielt seine ohnmächtige Gefährtin fest.
Und jetzt erst begriff Bahafaa: Grao hatte die Gestalt des Izeekepirs angenommen! Ein Stein fiel ihr vom Herzen.
Den Grund für seine Verwandlung erkannte sie kurz darauf: Der Izeekepir setzte sich in Bewegung. Erst trottete er langsam in die Weide hinein, dann lief er immer schneller. Schließlich galoppierte er in weiten Sprüngen nach Osten. Was, bei Wudan, hatten die drei vor?
Ein Geräusch ließ Bahafaa herumfahren. Schritte scharrten irgendwo draußen im Gang! Sie näherten sich.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie spähte zur Wandnische. Vielleicht wäre es ja sicher gewesen, dieses Versteck. Zu spät - sie würde es nicht mehr schaffen, dort hinauf zu klettern.
Die Türklinke wurde von außen heruntergedrückt. Bahafaa wich zurück, stolperte und schlug lang hin.
***
In einem großen Bogen galoppierte Grao'sil'aana in Gestalt des Izeekepirs um die Siedlung herum und näherte sich so auf Umwegen dem Strand und der Bucht, in der das Schattenschiff vor Anker lag. Sie ritten an einem kleinen Fluss entlang, der zur Südküste hin durch das Weideland floss, als Aruula wieder zu sich kam.
Der Izeekepir hielt an und Matt glitt von seinem Rücken. Er half seiner Gefährtin herunter und legte sie im Gras ab. Dort gab er ihr Wasser zu trinken und versuchte sie anzusprechen. Grao'sil'aana, in Gestalt des Eisbärmutanten, entfernte sich ein wenig, um Aruula nicht durch seinen bloßen Anblick zu erschrecken.
Irgendwann setzte die Kriegerin sich auf, lehnte mit dem Rücken gegen Matts Brust und atmete ein paar Mal tief durch. »Erschreck nicht, wenn du einen Izeekepir hier herumschleichen siehst«, warnte Matt. »Das ist Grao'sil'aana. Er scheint fest entschlossen, mit uns zusammenzuarbeiten.«
»Wenigstens ein Lichtblick«, sagte sie leise. »Was ich in den Gedanken des Schattenmannes gesehen habe, gibt wenig Anlass zur Hoffnung.«
»Erzähle«, forderte Matt Drax seine Gefährtin auf.
»Er ist ein Gottesmann«, begann sie mit stockender Stimme zu erzählen. »Oder jedenfalls war er das mal. Er heißt Bartolomé de Quintanilla.«
»Ein Gottesmann?« Matt Drax runzelte die Stirn. »Ich habe einen Mönch unter den Schatten gesehen. Das muss er sein.«
»Er ruft in
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