275 - Licht und Schatten
Ansatzpunkt.«
Aruula nickte. »Die Gelegenheit wäre günstig, denn die Schatten haben das Schiff alle verlassen. Auch wenn sie uns folgen sollten, haben wir doch einen großen Vorsprung.«
»Vergesst die Gefahr nicht«, mahnte Grao'sil'aana. »Wenn ihr das Wesen berührt, könnte es euch in Stein verwandeln.«
»Stimmt schon.« Matt schnitt eine grimmige Miene. »Vergessen wir also die Gefahr nicht.« Er erhob sich. »Lasst uns aufbrechen!«
***
Bartolomé! Scharf und streng klang Mutters Stimme. Warum gehorchst du mir nicht?
Wie festgefroren stand der Schatten, der einst ein Dominikanermönch gewesen war, auf der obersten Stufe der Treppe zum Festungsportal. Nicht die Heilige Jungfrau rief ihn! Es rief ihn, der Steindämon! Das lichte Glück seines Schattenherzens verwandelte sich augenblicklich in starres Entsetzen. Hatte Es ihn durchschaut? Das mochte die Gottesmutter verhindern, denn dann war er verloren.
Ich gehorche dir doch , antwortete er im Geiste, während sich neben ihm Maxim durch das Eichentürblatt zwängte. Bin ich nicht hier in der Festung, wie du es uns geboten hast?
Die nächsten Worte des Steinwesens ließen ihn erbeben. Ich spüre, dass du deine geheimsten Gedanken vor mir verbirgst, Bartolomé! Ich hatte gehofft, du würdest deine Aufsässigkeit ablegen, aber dem ist nicht so. Vorhin, an der Mauer, hast du einen Lebendigen entkommen lassen!
Aber… es war kein Mensch! , rechtfertigte sich Bartolomé. Es muss ein Dämon gewesen sein. Er sah aus wie ein Drachen. Ich hatte Sorge, ihn zu berühren, denn seine Seele war gewiss verderbt und hätte dir geschadet, Mutter !
Für einen Moment schwieg das Steinwesen, schien nachzudenken. Doch schon die nächste Frage stürzte den Padre vollends in Verzweiflung:
Wer ist Maria?
Er musste antworten, ihm blieb keine Wahl. Königin des Himmels , betete er, höchste Herrin der Engel, gib mir die richtigen Worte ein. Doch die Gottesmutter schwieg. Hatte sie ihn verlassen?
Dann fiel es Bartolomé wie Schuppen von den Augen. Was hatte die Heilige Jungfrau gesagt? Lehne dich gegen ihn auf, Bartolomé, und die himmlischen Heerscharen werden dir beistehen. Es lag also an ihm allein! Er musste sich überwinden und dem Dämon widerstehen. Nur dann konnte ihm die göttliche Hilfe zuteilwerden.
Er richtete sich auf, nahm eine unbeugsame Haltung an.
Das werde ich dir nicht sagen, Mutter , formulierte sein Geist die Worte, über die er im gleichen Augenblick selbst erschrak.
Auch auf den Steindämon schienen sie zu wirken, denn für Sekunden war er sprachlos. Doch als er seine Stimme wieder erhob, klang sie weder wütend, noch fassungslos.
Komm aus der Festung heraus , befahl Mutter . Komm zurück an den Strand, zum Schiff. Ich will dich genauer betrachten.
Hörte er da Neugierde in ihrer Stimme? Zurück zum Schiff?
Du hast schon richtig verstanden!
Bartolomé blieb keine andere Wahl - und er war froh darüber. Denn nun erkannte er mit aller Klarheit, was die Heilige Jungfrau vorhergesehen hatte: Sie würde ihn, Bartolomé de Quintanilla, zu ihrem Streiter für das Gute machen! Indem er sich zu dem Teufel im Stein begab, brachte er die Himmlischen Heerscharen in die Nähe des Feindes. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sie mit Flammenschwertern und feurigem Regen zuschlagen und den Dämon vernichten würden, wenn er dort ankam.
Mit neuer Zuversicht erfüllt, machte Bartolomé kehrt und stieg die breite Treppe wieder hinunter. Dabei betete er unaufhörlich, um diesen göttlichen Plan vor dem Dämon zu verbergen.
Stehe mir bei, Heilige Jungfrau! Stehe mir bei und rette mich vor dem Bösen…
***
Grao'sil'aanas Schädel schwoll an. Das grünblaue Schimmern seiner Schuppenhaut wich einem stumpfen Weiß, das an manchen Stellen in Grau überging. Sein Rücken schien sich aufzublähen, seine Arme nahmen an Dicke und Länge zu, seine Beine schrumpften ein wenig.
Wenige Minuten nur dauerte die Metamorphose des Daa'muren, dann stand wieder ein pelziger Izeekepir vor Aruula und Matt Drax. Sie kletterten auf seinen Rücken und der Eisbärmutant, der keiner war, setzte sich in Bewegung.
Entlang des Flüsschens trabte er der Küste entgegen. Sie hatten beschlossen, die Bucht, in der das Schattenschiff lag, vom Meer her und schwimmend zu erreichen. So spät wie möglich sollte das mysteriöse Steinwesen sie entdecken.
Der Flusslauf verengte sich, das Wasser strömte wilder dahin und stürzte schließlich an der Steilküste in einem tosenden Wasserfall über
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