275 - Licht und Schatten
deren Weissagung.
Matt zögerte nicht länger. Er schob die Arme unter seine Gefährtin, hob sie hoch und legte sie sich behutsam über die Schulter. »Du hast recht, Juneeda. Wir müssen getrennte Wege gehen. Die Schatten scheinen der Strahlung zu folgen, die Aruula und ich an uns haben.« Alle sahen ihn an, niemand widersprach. In der Miene der Priesterin glaubte er Erleichterung zu erkennen.
»Es gibt einen Küchenausgang aus dem Seitenflügel«, sagte Lusaana. »Den werden die Schattenwesen noch nicht gefunden haben. Dort gelangt ihr ins Freie. Ganz in der Nähe, hinter einem Rosengarten, gibt es einen Aufgang hoch zur Wehrmauer.«
»Aber wie kommen wir aus der Festung hinaus?«, fragte Matt. »Wir können ja schlecht über die Mauer springen.«
Lusaana schlug die Augen nieder. »Es gibt neben dem Geheimtunnel nur das eine Tor«, sagte sie. »Ihr müsst versuchen, es zu erreichen.«
Hermon trat neben sie. »Ich werde euch begleiten.«
Einige der Kriegerinnen stöhnten auf. Geraunte Worte flogen hin und her.
Sie haben tatsächlich einen Narren an ihm gefressen , dachte Matt. Wenn sie nur wüssten…
Nun, er wusste. Und erkannte glasklar, dass Graos Gestaltwandler-Fähigkeiten ihre Chancen erheblich verbessern konnten. Ihm würde es möglich sein, sie beide über die Festungsmauer zu bringen. Sofern er kein falsches Spiel spielte.
Der Daa'mure schien seine Gedanken zu erraten. »Du kannst mir vertrauen, Mef… Maddrax«, raunte Hermon ihm zu. Mit dem Daumen deutete er über die Schulter auf die Zurückbleibenden. »Sie alle werden sterben, wenn wir nicht zusammenhalten. Ich habe die Schatten beobachtet - jeder von ihnen ist gefährlicher als zehn von deiner Sorte, sogar gefährlicher als zwei von meiner Sorte. Ihre Chancen stehen besser, wenn ihr beide verschwindet. Nur darum helfe ich euch.«
Sekundenlang sah Matt ihm in die kalten Augen. Schließlich nickte er.
Hermon wandte sich an die Königin. »Ihr müsst mir eines versprechen«, sagte er. »Bevor ihr aufbrecht, holt Bahafaa aus dem Dachgeschoss des linken Festungsflügels.« Er beschrieb ihr Versteck.
Lusaana nickte. »Das werden wir.«
Hermon wandte sich an Matt Drax. »Dann los.«
Der drehte sich um und trug die bewusstlose Aruula die Kellertreppe hinauf. Hermon alias Grao'sil'aana folgte ihm.
***
Mit angezogenen Beinen kauerte Bahafaa in der Wandnische, in der Hermon sie zurückgelassen hatte. Hatte sie anfangs noch Stimmen und Schritte im Gebäude gehört, war es inzwischen still geworden um sie herum. Unerträglich still.
Sie begann sich zu fürchten, und in ihrer Phantasie malte sie sich aus, wie die gespenstischen Feinde durch die Festung schlichen und jeden Raum und jede Nische nach Menschen durchsuchten.
Sie wusste nichts von den Angreifern, hatte nur Gerüchte gehört, nach denen sie Schatten ähnelten und jeden in Stein verwandeln konnten, den sie berührten. Beide Gerüchte überstiegen ihre Vorstellungskraft und nährten ihre Angst.
Irgendwann hielt sie es kaum noch aus in ihrem Versteck. Ihre Gedanken begannen um Grao zu kreisen. Warum kam er nicht zurück? War ihm womöglich etwas zugestoßen?
Die Sorge um den Geliebten gab schließlich den Ausschlag - sie zog den Vorhang vor der Nische beiseite, kletterte hervor und über den Schrank darunter in den Raum hinab.
Sie schlich zur Tür und lauschte. Nichts zu hören. Sie trat ans größere der beiden Fenster des Eckzimmers und spähte hinaus. Der Festungshof war menschenleer, so weit sie ihn überblicken konnte. Sie huschte zum kleineren Fenster auf der anderen Zimmerseite und spähte dort hinaus.
Von hier aus konnte sie über den südlichen Teil der Festungsmauer blicken, die kaum zwanzig Schritte entfernt unter dem Fenster verlief. Nirgendwo eine Menschenseele zu sehen, nicht auf dem Weideland vor der Festungsmauer und nicht im Rosengarten direkt unter dem Fenster.
Sie wollte sich schon abwenden, da meinte sie, irgendwo unter dem Fenster das Knarren einer Tür zu hören. Sie drückte sich an die Wand neben dem Fenster und äugte hinunter. Hermon tauchte unerwartet unten im Rosengarten auf. Ein zweiter Mann folgte ihm - Maddrax. Bahafaa erschrak, denn über seiner Schulter hing wie leblos die Kriegerin Aruula.
Sie presste die Stirn gegen das Fensterglas, beobachtete, wie die Männer über den Gartenpfad zur Festungsmauer schlichen und über hölzerne Stiegen zum Wehrgang hinauf kletterten. Bahafaa wollte das Fenster öffnen und sich bemerkbar machen, doch das Holz hatte
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