275 - Licht und Schatten
aus der Festung fliehen sehen.«
»Die beiden strahlen offenbar etwas aus, das die Unheimlichen anlockt«, erklärte die Kriegerin. »Um sie von uns abzulenken, sind sie gegangen. Hermon wollte sie unbedingt begleiten. Frag mich nicht, warum.«
Bahafaa grübelte. Es musste einen triftigen Grund dafür geben, dass Grao mit Maddrax und Aruula gegangen war. Ein banges Gefühl beschlich sie. Nutzte er etwa die Chance, sich doch noch an den beiden zu rächen und ihren Tod den Schatten anzukreiden? Sie fröstelte bei dem Gedanken.
Nein, Grao hat ihnen vergeben. Das hat er mir geschworen , dachte sie. Andererseits - was wusste sie schon darüber, wie es tief in ihm drin aussah? Konnte sie sich wirklich auf sein Wort verlassen?
Mit der Menge ließ sie sich der Tür zur Fleischküche entgegenschieben. Als die Schwelle hinter ihr lag, sah sie Dykestraa und Tumaara an einer geöffneten Bodenklappe stehen. Sie nahmen den jeweils Ersten in der Warteschlange in Empfang und halfen ihm hinunter in den Schacht. Einer nach dem anderen verschwanden Männer, Frauen und Kinder darin.
Während der Eroberung der Königsinsel durch die Nordmänner war Bahafaa zum letzten Mal im Labyrinth unter der Festung gewesen. Das war schon fast zehn Winter her. Die unterirdische Anlage war mehr als zweihundert Winter alt. Sie stammte noch aus der Zeit, als die Erzmütter des Volkes der Dreizehn Inseln auf der größten Insel gelandet waren und die Festung erbauten.
Während der Belagerung vor fast zehn Wintern ahnten die Nordmänner nichts von diesem Labyrinth. Während der sechs Winter, in denen sie die Festung besetzt hielten, entdeckten sie keinen der drei Einstiege.
»Sind wir dort unten sicher?«, fragte Bahafaa ängstlich, als sie am Schachtrand des Einstiegs stand.
»Nein«, erklärte Tumaara, packte sie und schob sie ungeduldig auf die Leiter. »Diese verfluchten Schattenwesen gehen durch Wände wie durch Nebel.«
Der Schreck verschlug Bahafaa die Sprache. Sie wusste kaum, was sie tat, während sie Sprosse um Sprosse die Leiter hinunterkletterte. Unten, in einer Art Vorhalle, nahm die Königin selbst sie in Empfang. Vier Stollen führten aus dem von Fackeln erhellten Raum heraus. Mit knappen Gesten befahl Lusaana ihr, sich in die Marschkolonne einzureihen, die sich bereits in einem der Stollen formiert hatte.
Minuten später stieg Tumaara mit den letzten Kriegerinnen aus dem Einstieg herunter. Oben schlug die Falltür zu. »Wo ist Dykestraa?«, fragte Bahafaa erschrocken.
»Einer muss ja den Schacht verschließen und tarnen«, erklärte Tumaara trocken. Bahafaa begriff, dass Dykestraa sich geopfert hatte; ihr wurde ganz übel.
Die Marschkolonne setzte sich in Bewegung. Königin Lusaana übernahm mit Tumaara, Arjeela und zwei Fackelträgern die Nachhut. Juneeda, die Priesterin, hatte sich mit zwei Fackelträgern an die Spitze gesetzt und führte die etwa hundertdreißig Frauen, Kinder und Männer aus dem Stollen heraus in den Hauptgang nach Norden. Die Höhle vor der Bucht war mehr als vier Wegstunden entfernt.
In Abständen von etwa zwei Kilometern gab es getarnte Ausgänge ins Freie, doch man hatte beschlossen, so lange wie möglich unter der Erde zu bleiben. Vielleicht würden die Schatten sie hier unten nicht wittern können.
Bahafaa lief ziemlich weit hinten. Sie konnte das Flüstern der Königin und Kriegerinnen am Ende hören. Angst und Gefahr bestimmten ihr Gespräch.
Unheimlich lag flackernder Fackelschein über den Flüchtenden. Geflüster, Kindergeschrei und das Scharren vieler Stiefel hallten von den feuchten Wänden wider. Ihr eigener Herzschlag pochte Bahafaa in den Ohren und überlagerte all diese Geräusche. Ihre Knie waren weich, sie drängte sich gegen die Kriegerin, die neben ihr ging. Deren Nähe und Körperwärme dämpften ihre Angst ein wenig.
Plötzlich - sie hatten gerade die Markierung passiert, die auf den ersten Ausgang hinwies - merkte sie, wie sich die Stimmung um sie herum veränderte. Gelassen war sie von Anfang an nicht gewesen, doch nun mehrten sich die Schluchzer, das nervöse Zurückblicken, das Klappern der Zähne und die Verzweiflung in den Mienen.
Es dauerte eine Weile, bis Bahafaa verstand: Sie selbst war schuld daran! Mit ihrer Gabe, das eigene Empfinden auf andere abzustrahlen, sorgte sie langsam aber sicher für eine Panik! Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder beruhigte sie sich - oder sie ließ sich so weit zurückfallen, dass sie die anderen nicht mehr beeinflussen konnte.
Die
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