28 - Im Lande des Mahdi II
verzeihen?“
„Gern“, antwortete ich, indem ich ihm die Hand schüttelte.
„So sage mir, wie ich dir dienen und dir einen großen Gefallen erweisen kann!“
„Dessen bedarf es nicht. Du wußtest es nicht, was es heißt, von dem ‚Herrn mit dem dicken Kopf‘ angegriffen zu werden; ich habe es dir gezeigt und bin nun befriedigt. Würdest du es noch einmal wagen, dich einem Löwen entgegenzustellen?“
„Niemals, nie! Bei seinem Anblick erstarrt einem das Blut im Leib, und es ist als ob einem alles Fleisch von den Knochen falle.“
„Das ist die Furcht, die Angst. Warum bin denn ich ganz ruhig geblieben? Hätte auch ich mich gefürchtet, so wäre es sehr schlimm geworden.“
„Ja, Effendi, es ist mir unbegreiflich, wie du es wagen konntest, den Löwen zu veranlassen, sich von mir zu wenden, um sich auf dich zu werfen und obendrein, nachdem ich mich so feindselig gegen dich verhalten hatte! Schreibt dir das etwa dein Glaube vor?“
„Nein. Ein guter Christ wird allerdings seinem ärgsten Gegner verzeihen, denn Christus, der Sohn Gottes, hat uns sogar geboten, unsere Feinde zu lieben; aber daß ich, um einem Moslem das Leben zu retten, mich selbst von dem Löwen zerreißen lassen soll, das gebietet mir mein Glaube nicht. Ich habe hier weniger als Christ, vielmehr als Mann gehandelt, als ein Schütze, ein Jäger, den selbst der Würger der Herden nicht aus der Fassung bringen kann. Als unerschrockener Mann habe ich den Löwen erschossen; als Christ bin ich bereit, mich mit dir zu versöhnen. Das ist es.“
„Es bleibt sich gleich, ob du mich als Mensch oder als Christ errettet hast. Ich habe dir das Leben zu verdanken und bitte dich, mir zu sagen, wie ich diese große Schuld wenigstens einigermaßen abtragen kann.“
„Es ist von keiner Schuld die Rede. Ich hätte das Tier auf alle Fälle erlegt; daß ich es von dir ablenken mußte, um gut zum Schuß zu kommen, das war nur ein Zufall, welcher dich zu nichts verpflichtet. Ich werde das Fell des Löwen nehmen und bin mit diesem Lohn vollständig zufrieden.“
„Das ist mir nur dann begreiflich, wenn ich annehme, daß du nur aus Stolz den Dank eines Mannes, welcher dich beleidigt hat, verschmähst. Aber auch ich habe mein Ehrgefühl, welches mir verbietet, mich gänzlich abweisen zu lassen. Ich werde nachdenken und hoffe, eine Gelegenheit zu finden, dir einen Dienst zu leisten, den du anzunehmen gezwungen bist. Du weißt noch gar nicht, wen du gerettet hast. Später, wenn du weiteres von mir hörst, wirst du erkennen, daß dir All-Islam und der ganze Orient verbunden ist. Da liegt mein Kamel. Was ist mit ihm geschehen?“
„Der Fessarah hat es angeschossen, weil er es für einen Löwen hielt.“
„Dieser Dummkopf! Die Angst hat ihn blind gemacht. Ist es schwer verwundet?“
„Ja; es kann nicht auf, und wenn du es mir erlaubst, so werde ich es durch einen Schuß von seinen Qualen erlösen.“
„Warum willst du das kostbare Pulver und Blei verschwenden? Laß es liegen; es wird von selbst sterben.“
„Das würde grausam sein. Ein Tier ist ebenso Gottes Geschöpf wie der Mensch.“
„Tue, was du willst; ich habe nichts dagegen. Aber was fange ich nun ohne Reittier an? Soll ich laufen?“
„Nein. Ich werde dir eins von den erbeuteten Kamelen schenken. Jetzt wollen wir den Löwen nach dem Brunnen schaffen, damit ich ihm das Fell nehmen kann.“
Ich gab dem Kamel den Gnadenschuß; dann gehörten acht Asaker dazu, den mächtigen Körper des Löwen fortzuschleifen. Er wurde nach einem der Feuer gebracht, wo ich ihm den gelbbraunen ‚Rock‘ auszog, wie Ben Nil sich ausdrückte. Natürlich sprach man nur von dem Löwen, und alles andere ruhte. Der Fessarah kam in sehr niedergeschlagener Haltung herbei und wurde mit ironischen Lobpreisungen überschüttet. Er ließ sie über sich ergehen, ohne ein Wort zu erwidern, und das war das beste, was er tun konnte. Er legte seine berühmte Flinte weg und sagte:
„Hier liegt sie; geben kann ich sie dir nicht, denn das wäre eine Versündigung an dem Urvater meiner Urahnen. Bist du wirklich so grausam, mich ihrer zu berauben, so nimm sie weg.“
„Ja, ich nehme sie, denn sie ist mein rechtmäßiges und wohlverdientes Eigentum.“
Er hatte auf meine Nachsicht gerechnet; als er sie jetzt in meinen Händen sah, schlug er die seinigen über dem Kopf zusammen und wehklagte:
„O Allah, o Himmel, o tiefes Herzeleid meiner Seele! Nun bin ich des Ruhmes meiner Ahnen, des Vermächtnisses meiner Vorfahren
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