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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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und da mir klar war, dass er keine finden würde, jedenfalls keine, die nicht eine Eskalation nach sich ziehen würden, ergriff ich das Wort: «Wir haben nicht den Luxus, warten zu können.»
    Die beiden Offiziere blickten mich erstaunt an. Es schien sie zu überraschen, dass ich überhaupt sprechen konnte.
    «Unser Volk stirbt», erklärte ich eindringlich. Zum ersten Male in meinem Leben nannte ich uns Juden ‹unser Volk›, denn zu den Polen gehörten wir eben nicht. «Wir müssen kämpfen. Jetzt! Oder wir werden ohne Kampf abgeschlachtet.»
    Den Blicken der Offiziere nach zu urteilen, war ihnen das vollkommen klar. Iwanski schenkte sich verlegen einen Schnaps ein, und der Oberst war zornig, dass ein jüdisches Mädchen so mit ihm sprach: «Nehmt die zwanzig Pistolen oder nicht. Wie ihr wollt.»
    «Wenn ihr uns nicht helft, dann klebt unser Blut an euren Händen!», schleuderte ich ihm entgegen.
    Iwanski trank.
    Der Oberst erwiderte schneidend wie ein Fallbeil: «Ich glaube, junge Dame, es ist an der Zeit für euch zu gehen.»
    Amos brauste auf: «Ich glaube, hier ist gleich Zeit für noch etwas …»
    Ich wusste, dass es nichts bringen würde, wenn Amos sich den Oberst packte, genauso wenig wie weiteres Reden noch Sinn machen würde. So stand ich auf, zog Amos weg vom Tisch und erklärte: «Ich fürchte, es ist alles gesagt.»
    Wir verließen die Hütte. Amos schlug wütend gegen einen Baum, den dieser Schlag genauso wenig interessierte wie die Welt das Schicksal der Juden. Der polnische Widerstand half uns nicht, und die Alliierten bombardierten nicht die Gleise zu den Konzentrationslagern.
    Niedergeschlagen lehnte ich mich gegen einen anderen Baum, da trat Iwanski zu uns.
    «Was wollen Sie denn noch?», schrie Amos ihn an.
    «Ihnen sagen, dass die junge Frau recht hat. Euer Blut wird an unseren Händen kleben, wenn wir euch nicht helfen.»
    «Ihr Oberst hat doch gerade klargemacht …», hob Amos an, aber Iwanski unterbrach ihn: «Ein paar Kameraden und ich werden euch dennoch helfen.»
    Wir Juden waren also doch nicht ganz allein.

49
    Amos und ich kehrten bei Sonnenuntergang in unsere Wohnung zurück. Als die Tür hinter uns zuschlug, nahm er meine Hand und sagte anerkennend: «Du hast mehr erreicht als ich.»
    Ich war verlegen, wegen des Lobs und weil Amos wieder meine Hand hielt. Nicht in einer Situation, in der wir ein verliebtes polnisches Paar spielten und uns dahinter verstecken konnten, dass die Berührung nur zu einem großen Theaterstück gehörte, das wir zur Tarnung aufführten, sondern in einem Moment, in dem wir ganz wir selber waren. Mira und Amos.
    «Du bist eine mutige Frau», sagte er aufrichtig.
    Das machte mich noch verlegener.
    «Ich … ich weiß nicht, ob Esther das gefallen würde», antwortete ich mit Blick auf unsere Hände.
    «Nein, das würde es wohl nicht», erwiderte Amos ganz ernst, ohne das übliche verschmitzte Lächeln im Gesicht. Er ließ wieder los. Und ich verfluchte mich selber, dass ich Esther erwähnt hatte.
    Wir kochten uns gemeinsam etwas zum Abendessen, sprachen dabei über das Geschehene – über das Treffen mit den Polen, nicht über unseren Kinobesuch; der war ein flüchtiger, magischer Ausflug in eine andere, normale Welt gewesen, die wir wohl nie wieder betreten würden. Nach dem Essen spülten wir das Geschirr ab und machten uns für die Nacht fertig.
    «Wenn du willst, schlaf ich heute auf dem Boden», bot Amos an, als er das Schlafzimmer betrat und sah, dass ich bereits unter die Decke geschlüpft war.
    «Ist schon in Ordnung», antwortete ich und versuchte, ihm mit meiner Stimmlage zu signalisieren, dass sich durch unser Händchenhalten rein gar nichts zwischen uns geändert hatte, wir uns also das Bett teilen könnten wie in der Nacht zuvor.
    Amos stand ein bisschen unschlüssig da. Schließlich rang er sich durch, zog sich bis auf Hemd und Unterhose aus, löschte das Licht und legte sich auf seine Seite des Bettes.
    Eine Weile lagen wir schweigend nebeneinander, ohne uns anzusehen, und ich blickte zum Fenster hinaus. Im trüben Winter war der Mond über dem Ghetto die meiste Zeit von Wolken verhangen gewesen. Heute aber strahlte er in voller Pracht, umringt von funkelnden Sternen. Auch die nächtlichen Himmelskörper leuchteten anscheinend lieber über dem Rest der Welt als über uns Juden.
    Ich drehte mich im Bett zu Amos, der auch noch nicht eingeschlafen war, und fragte: «Warum ziehst du eigentlich zum Schlafen das Hemd nicht aus?»
    Er schaute wie

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