28 Tage lang (German Edition)
vom Donner gerührt. Mit dieser Frage hatte er genauso wenig gerechnet wie ich, hatte ich doch kein bisschen nachgedacht, bevor ich den Mund geöffnet hatte.
«Du … du musst das nicht beantworten», erwiderte ich hastig.
«Schon gut, schon gut. Wir sind ja Eheleute», versuchte er gequält zu lächeln, aber das Lächeln missriet ihm zu einer schmerzverzerrten Grimasse.
Amos setzte sich im Bett auf und zog sein Hemd aus. Es war gut, dass das Licht nicht an war. Selbst im Mondlicht war das, was ich sah, furchtbar genug: Sein Rücken war voller Narben. Das ganze Fleisch musste einmal aufgerissen gewesen sein.
«Die Deutschen?», fragte ich, während auch ich mich aufsetzte.
«Die Deutschen», bestätigte Amos und zog sein Hemd wieder an.
Ich war unsicher, ob ich weiterfragen sollte, da begann Amos von allein zu erzählen: «Sie haben mich vor zwei Jahren wegen Schmuggelei festgenommen und wollten wissen, wer meine Komplizen sind.»
Trotz des schwachen Mondlichts meinte ich zu erkennen, dass sich in Amos’ Augen Tränen bildeten.
«Ich … ich hab meine Freunde verraten», stammelte er, und jetzt sah ich deutlich, wie Tränen über seine Wange flossen.
Es waren nicht nur Komplizen, es waren Freunde gewesen. Wie konnte man bei so etwas nur Trost spenden?
«Alle vier wurden erschossen.» Er versuchte durchzuatmen, doch die Schuld schnürte ihm die Luft ab. Mit dem Ärmel wischte er sich die Tränen weg. Danach versuchte er, in meinem Gesicht zu lesen, ob ich ihn jetzt so sehr verachten würde wie er sich selber. Tief unter seiner spielerischen Fassade, das erkannte ich jetzt, war ein riesengroßer Hass auf sich selbst.
Dabei hätte ihn doch kein normaler Mensch bei dem Anblick der Narben auf seinem Rücken verurteilen können. Wer besaß schon so viel Willenskraft, solche Hiebe mit der Peitsche zu ertragen? Wohl Mordechai Anielewicz. Vielleicht auch noch der ein oder andere besonders tapfere Kämpfer. Doch sonst würde eine solche Folter kein Mensch durchstehen können. Ich erst recht nicht, ich hatte ja schon nach der Ohrfeige von dem fetten Schwein in der Wachstube geheult.
«Ich … ich hab das noch nie jemandem erzählt», sagte Amos kaum hörbar und erstaunt über sich selbst.
«Auch nicht Esther?», fragte ich überrascht.
«Auch nicht Esther.»
Er hatte zu große Angst davor, dass sie ihn dafür verachten würde.
«Warum … warum dann aber mir?», fragte ich.
«Nun», antwortete er und schaffte es diesmal, dass sein gequältes Lächeln ein bisschen Ähnlichkeit mit einem echten besaß, «vielleicht weil du meine Ehefrau bist …»
Ich hielt ihm zur Bestätigung die Hand mit meinem Ehering entgegen. So erkannte er, dass ich ihn nicht verurteilte.
Weiterreden mochte Amos dennoch nicht. Er hatte schon mehr von sich preisgegeben als jemals zuvor, und das war für ihn eine geradezu übermenschliche seelische Anstrengung gewesen. Er schlüpfte wieder unter die Decke, und ich tat es ihm gleich.
Nach einer Weile der Stille sagte ich vorsichtig: «Amos?»
«Ja?»
«Es sind die Deutschen, die deine Freunde auf dem Gewissen haben. Du hast keine Schuld.»
«Das wäre schön, wenn es so wäre», erwiderte er leise. «Sehr, sehr schön.»
Er glaubte mir nicht. Ich nahm seine Hand, und er ließ es sich gefallen. Wir hielten Händchen wie ein altes Ehepaar. Oder wie zwei kleine Kinder. Zwei verletzte Seelen, die einander Halt gaben. So schliefen wir dann auch ein.
In dieser Nacht war ich frei von Albträumen. Frei vom Spiegelmeister.
50
Iwanski hielt Wort. Gemeinsam mit einigen seiner Gefährten des polnischen Untergrundes schleppte er Kisten mit Waffen durch das Labyrinth der Abwasserkanäle, in dem man sich nur mit kundigem Führer nicht verlief, ins Ghetto. Dort hatte eine Mutter ihn gebeten, ihre zwei kleinen Mädchen mit auf die polnische Seite zu nehmen, und auch wenn es beschwerlich war – in der stinkenden Abwasserkloake konnte man nur gebückt gehen, und die Kleinen mussten getragen werden, damit sie im zum Teil hohen Wasser nicht ertranken –, nahm Iwanski die Mädchen mit und versteckte sie in seiner Wohnung, wo sich nun Iwanskis Frau um sie kümmerte.
Nachdem der Hauptmann uns das alles an unserem Esstisch geschildert hatte, fragte Amos: «Wie war es in der Kanalisation genau?»
«Scheiße, im wahrsten Sinne des Wortes», erwiderte der Hauptmann trocken.
«Das riecht man», lachte Amos.
Tatsächlich, der Mann stank, obwohl er mittlerweile gebadet hatte und frische Kleidung trug,
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