28 Tage lang (German Edition)
so angegangen wäre, hier unten aber sprach er uns allen aus der Seele.
«Dann erschieß mich doch», gab der Kahlköpfige zurück.
«Zu gerne», antwortete der Hagere, «aber vorher brauch ich noch etwas von dir.»
«Was?»
«Hundert Złoty. So eine Kugel ist teuer.»
Für einen Moment war der Kahlköpfige mundtot gemacht. Dann lachte er und erwiderte: «Ich zahl höchstens fünfzig.»
Da musste auch ich grinsen.
«Zweihundert», forderte der Hagere.
«Eben waren es hundert!»
«Da hattest du ja auch noch nicht fünfzig geboten.»
Immer mehr von uns mussten über das absurde Gefeilsche lachen.
«Dreißig», bot der Kahlköpfige.
«Dreihundert», verlangte der Hagere.
«Zwanzig biete ich dir!»
«Fünfzig will ich aber haben.»
«Nur fünfzig?» Der Kahlköpfige war erstaunt. «Das hab ich doch am Anfang geboten.»
«Das hab ich jetzt nur gesagt, um dich zu verwirren.»
Jetzt lachten alle, die noch die Kraft dazu besaßen.
Wir kannten noch Fröhlichkeit. Trotz allem.
Diesen Moment hätte ich nicht erlebt, wenn ich in dem Franciszkańska-Bunker meinem Wunsch nach Erlösung nachgekommen und für immer eingeschlafen wäre.
Die Fröhlichkeit hielt jedoch nicht lange an. Natürlich nicht. Ein Zivilist brach vor Erschöpfung zusammen, ein anderer trank vor lauter Durst das Abwasser und erlitt fürchterliche Krämpfe, aber wir schafften es, alle bis zum Abend zu überleben. Als es langsam dunkel wurde und auf der Straße über uns nur noch vereinzelt Passanten oder Autos zu hören waren, sah ich endlich wieder Amos’ Schuhe. Gleich würde er den Deckel hochheben, wir konnten der Kloakenhölle entsteigen, in den bereitgestellten Lastwagen klettern und das Ghetto ein für alle Mal hinter uns lassen.
Amos blieb über uns stehen. Jedoch rührte er sich nicht. Warum hob er nicht den verfluchten Deckel an?
Ein Zettel segelte durch die Ritzen auf mich herab und verfing sich in meinem von Schweiß und Dreck verklebten Haar. Ich nahm ihn in die Hand, wollte ihn gar nicht lesen, bedeutete er doch garantiert, dass wir hier noch länger ausharren mussten. Wie lange? Eine Stunde? Zwei? Hoffentlich nicht länger. Noch mehr Ausgezehrte würden zusammenbrechen, noch mehr Durstige das Wasser trinken.
Schließlich faltete ich den Zettel auf: «Die Soldaten patrouillieren in der Nacht an sämtlichen Ausstiegen. Ihr könnt erst morgen früh rausgeholt werden.»
Morgen früh.
Ich blickte hoch, Amos war bereits verschwunden. Ich gab den Zettel weiter. Samuel protestierte: «Das können wir nicht schaffen. Es ist besser, wenn wir rausgehen und schießen, dann werden wenigstens einige von uns sich durchschlagen.»
Ich blickte zu Daniel und Rebecca, die ermattet dasaßen und sterben würden, wenn wir Samuels Vorschlag folgen würden. Entschlossen drehte ich mich zu ihm: «Das werden wir nicht tun.»
«Aufgeben ist keine Option», fuhr Samuel mich an.
«Das hat mit Aufgeben nichts zu tun, da oben ist kein Lastwagen. Nicht nur werden die Zivilsten alle sterben. Die SS wird auch uns Kämpfer abknallen. So wie die Kameraden, die schießend aus der Miła gegangen sind.»
Samuel zögerte.
«Wir müssen warten», setzte ich nach.
Widerwillig stimmte Samuel mir zu.
Eine Stunde später wurde der Kanaldeckel gehoben.
Amos nutzte einen Moment, in dem die SS woanders patrouillierte, um uns zwei Eimer mit Suppe und Limonade hinabzureichen. Es war so wenig, dass unsere Münder trocken blieben, aber doch so viel, dass keiner mehr vor Verzweiflung Abwasser trank und wir alle etwas Mut schöpften. Ich am allermeisten, denn ich konnte Amos für wenige Momente ins Gesicht sehen.
«Ich hol dich hier raus», lächelte er zum Abschied.
Und ich glaubte ihm.
76
Der Einzige, der sich über die Entwicklung ein klein wenig zu freuen schien, war Josef, der hoffte, seine Frau doch noch retten zu können: «Ich geh ins Ghetto zurück und hole die Kameraden aus der Nalewki 37 . Wenn ich mich beeile, bin ich am Morgen mit ihnen wieder da.»
Wir anderen beschlossen, uns in der Nacht auf mehrere Eingänge zu verteilen. Wenn wir alle, so befürchteten wir, weiterhin an der gleichen Stelle warten und uns die Deutschen hier finden würden, könnten sie uns mit nur einer Handgranate töten.
Ich zog mit Daniel und Rebecca zwei Straßen weiter. Hier konnte man sich im kalten Abwasser hinsetzen. Es bestand allerdings die Gefahr, dass die Kleine in ihm ertrinken würde, sollte sie einschlafen.
Daniel hielt sie mit Geschichten vom kleinen König
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