28 Tage lang (German Edition)
an.
Siebzehn Juden trafen sich im Geröll des zerstörten Ghettos.
Es dauerte, bis wir endlich begriffen und die Hände wieder senkten. Noch länger, bis jemand seine Sprache wiederfand und wir den Kameraden ihre Fragen beantworten konnten. Als sie erfuhren, dass alle anderen in der Miła 18 verendet waren, stiegen ihnen die Tränen in die Augen.
Nur der Anführer der anderen Gruppe namens Samuel weinte nicht, jedenfalls nicht um die, die sich selbst gerichtet hatten: «Man darf sich nicht umbringen, solange man noch irgendwie weiterkämpfen kann. Ihr Tod war sinnlos.»
Welcher Tod war schon sinnvoll?
Welches Leben?
Meins?
Nein.
Keins.
Nachdem ein anderer Überlebender schilderte, dass Sharon siebenmal auf sich selbst geschossen hatte, sagte Samuel nur: «Sechs verschwendete Kugeln.»
Ich war zu erschöpft, ihn anzuschreien, dass er ja nicht dabei gewesen war. Und selbst wenn ich es getan hätte, er hätte mich kaum angehört, machte er sich doch mit seinen beiden Kameradinnen zielstrebig daran, die Trümmer nach Waffen zu durchsuchen. Vergeblich, die SS hatte den Bunker gesprengt, die Leichen unserer Kameraden zerfetzt.
Wir wanderten los, durch das zerstörte Ghetto, über Berge von mit Asche überzogenen Steinen, auf der Suche nach einer Bleibe. Ein Trupp von Menschen, deren Innerstes genauso zerstört war wie die Straßen um sie herum.
Wir erreichten die Franciszkańska-Straße 22 . Wieder ein Bunker. Bestimmt der letzte. Mehr Lazarett als Zuflucht. Überall Verwundete, Verbrannte, Sterbende.
Ich dachte nicht an Essen. Oder an meine Verletzungen. Oder an Amos. Ich schloss die Augen, wollte nur noch schlafen. Ewig schlafen.
Frieden.
Was für ein Mensch willst du sein?
Einer, der endlich erlöst wird.
74
«Wer nicht jüdisch aussieht, soll hierherkommen!», rief Samuel.
Ich wollte liegen bleiben, schlafen, sterben und sagte in Gedanken zu mir selbst: Du siehst jüdisch aus, Mira. Du bist nicht gemeint, schlaf …
… aber Mordechai hatte mich damals ausgewählt, in den polnischen Teil der Stadt zu gehen, weil er fand, dass ich als Polin durchgehen könnte, und ich hatte das auch schon oft genug bewiesen. Und wenn Samuel, der uns nun alle anführte, arisch Aussehende zusammenrief, konnte dies nur bedeuten, dass wir rüber auf die andere Seite gehen sollten und dann … dann könnte ich vielleicht Amos wiedersehen.
Erst wenn auch er tot war, würde ich ewig schlafen wollen.
Ich rappelte mich auf und humpelte zu Samuel und einem blonden Kämpfer, der stattlicher und nordischer aussah als die meisten SS -Männer.
Samuel musterte mich kurz, war erst skeptisch, sah dann aber meine grünen Augen und fragte: «Kannst du noch?»
Ein Nein wäre die ehrliche Antwort gewesen, aber es ging um meine allerletzte, winzig kleine Chance, Amos wiederzusehen, also antwortete ich: «Ja.»
«Es macht keinen Sinn, in diesem Bunker zu verrecken», erklärte Samuel. «Ihr müsst zu den Kameraden, die auf der anderen Seite sind, und uns dann mit denen gemeinsam alle hier herausholen.»
«Wie soll das gehen?», fragte der Blonde.
«Ihr müsst einen Weg finden, Josef», antwortete Samuel und warf mir ein paar Sachen zum Anziehen zu. Eine Bluse mit kaputten Ärmel und eine mir etwas zu große Männerhose.
«Und wie sollen wir auf die andere Seite?», wollte ich wissen.
«Durch die Kanalisation.»
Wir schwiegen. Es war die einzige Möglichkeit, und doch war es keine. Ohne genaue Kenntnisse konnte man sich da unten nur verirren. Wenn ich ehrlich zu mir selber gewesen wäre, hätte ich mir schon längst eingestanden, dass Amos in ihr gestorben war. Wie sonst war es zu erklären, dass wir keine Nachricht von ihm bekommen hatten?
«Abraham hier», deutete Samuel auf einen Mann, dessen linke Gesichtshälfte fast komplett verbrannt war, «kennt sich in den Kanälen aus. Er wird euch jenseits der Mauer zu einem Ausstieg führen und dann wieder allein hierher zurückkehren, um zu bestätigen, dass ihr es geschafft habt.»
Abraham nickte so entschlossen, dass wir Vertrauen fassten.
Keine halbe Stunde später hob er einen Gullydeckel hoch, und wir kletterten einer nach dem anderen hinab in die Kloake. Abraham mit einer Taschenlampe, Josef und ich jeweils mit Kerzen. Sofort standen wir knietief im Abwasser. Es stank bestialisch. Hätte ich etwas im Magen gehabt, ich hätte es sofort ausgespuckt.
Abraham übernahm die Führung, und je weiter wir gingen, desto tiefer wurde das Wasser. An einigen Stellen ging es mir bis
Weitere Kostenlose Bücher