Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
dass wir den Winter nicht auf der Straße erfrieren mussten.
    Dennoch konnte ihm in jenem Augenblick, in dem wir das kleine nackte Zimmer betraten, niemand von uns dankbar sein. Und er selber konnte sich nicht verzeihen, dass er nicht mehr für seine Familie herausgeholt hatte und seine geliebte Frau so leiden musste.
     
    Im vierten und obersten Stock angekommen, öffnete ich eine Wohnungstür und musste erst mal durch ein großes Zimmer gehen, in dem eine Großfamilie aus Kraków lebte, mit der wir uns in all den Monaten nie hatten anfreunden können. Diese Leute waren streng religiös. Die Frauen trugen Kopftücher, die Männer hatten allesamt Bärte, und die Haare an ihren Schläfen waren so lang, dass sie in Locken fast bis zum Hals herunterhingen. Während die Frauen die Hausarbeit verrichteten, beteten ihre Männer den lieben langen Tag. Das war nicht gerade meine Vorstellung von einer glücklichen Ehe.
    Wie immer sahen mich die Frauen, die gerade ihre Wäsche in großen Bottichen durchwalkten, abfällig an. Ich war jung, trug kein Kopftuch, hatte einen Freund und schmuggelte – Gründe, mich zu verachten, gab es also genug. Allerdings hatte ich mir schon lange abgewöhnt, unter ihrer Ablehnung zu leiden oder zu versuchen, nett zu ihnen zu sein.
    Ignorieren. Ignorieren. Ignorieren.
    Ich öffnete die Tür zu unserem Zimmer. Mama hatte wieder mal die Vorhänge zugezogen, sie wollte die Sonne einfach nicht in die Dunkelheit ihres Lebens lassen. Ich schloss die Tür hinter mir, zog den Vorhang auf und öffnete das Fenster, um zu lüften. Mama stöhnte ganz leicht auf, als das Sonnenlicht ins Zimmer fiel. Zu mehr Protest war sie allerdings nicht fähig. Sie lag auf einer der Matratzen, die wir in unserem ersten Winter hier im Tausch gegen ihre goldene Lieblingskette, Papas Geschenk zum zehnten Hochzeitstag, bekommen hatten.
    Mamas graue lange Haare klebten ihr im Gesicht, die Augen blickten ins Leere. Kaum zu glauben, dass diese Frau mal eine Schönheit gewesen war, um die sich mein Vater und ein General der polnischen Armee so sehr gerissen hatten, dass es beinahe zu einem Duell gekommen wäre, wenn sie nicht dazwischengegangen wäre, um Papa vor dem besseren Schützen zu retten.
    Sie hatte ihn geliebt. Unfassbar geliebt. Mehr als alles andere auf der Welt. Sogar mehr als uns Kinder. Sein Tod hatte Mama zerstört. Seitdem ahnte ich, dass es keine allzu gute Idee ist, jemanden zu sehr zu lieben.
    Mein Freund Daniel war da allerdings ganz anderer Ansicht: Nur die Liebe könnte uns alle retten. Er war vermutlich der einzige verbliebene Romantiker im Ghetto.
    Ich zog mein schönes Kleid aus, hängte es sorgsam an einen Bügel und den wiederum an einen Nagel in der Wand und zog stattdessen eine mehrfach gestopfte blaue Bluse und eine schwarze, ausgebeulte Hose an. Danach begann ich das Omelette zuzubereiten, schließlich musste Hannah jeden Moment aus der Untergrundschule kommen. Streng genommen hätte sie schon längst da sein müssen. Hoffentlich war ihr nichts passiert. Ich machte mir wirklich ständig Sorgen um die Kleine.
    Mama sprach nie viel und stellte mir dementsprechend auch keine Fragen. Dennoch wollte ich sie am Leben da draußen in der Welt teilhaben lassen und übernahm daher im Gespräch ihre Rolle gleich mit: «Und wie war dein Tag so, Mira?», sagte ich zu mir selber. «Bisher recht erfolgreich, Mama», antwortete ich mir. «Ach wirklich, Mira?», fragte ich und gab mir als Antwort: «Ja, wirklich, ich habe gutes Geld eingenommen und jede Menge Essen mitgebracht …»
    Für einen Moment überlegte ich, ob ich von den Schmalzowniks erzählen sollte, aber ich wollte nicht, dass Mama sich um mich Sorgen machte. Falls sie denn überhaupt noch in der Lage dazu war, sich um irgendjemanden Sorgen zu machen.
    Stattdessen erzählte ich, ohne groß nachzudenken: «Ich habe einen fremden Jungen geküsst.»
    Da musste sie dann doch lächeln. Mama lächelte so selten, dass in meinem Herzen eine kleine Explosion des Glücks stattfand. Ich wollte unbedingt, dass sie weiterlächelte, und so plapperte ich: «Es war wild … und leidenschaftlich und so verrückt … und auch irgendwie großartig …» Meine Güte, das war es wirklich gewesen. Großartig. Ich verspürte auf einmal den irrsinnigen Wunsch, Stefan noch mal zu küssen.
    Mama lächelte noch mehr. Das war schön. Als ich sie so sah, hatte ich die törichte Hoffnung, dass sie vielleicht wirklich noch mal glücklich werden könnte.
    In diesem Augenblick kam

Weitere Kostenlose Bücher