28 Tage lang (German Edition)
einer schwarzen Strumpfhose. Und wenn sie nicht von der fleischigen Hand eines dicken Mannes betatscht worden wäre, der ihren Busen anscheinend mit einem Knetteig verwechselte.
Die Atmosphäre des Ladens hätte mir eigentlich Beklemmungen bereiten müssen, aber tatsächlich ging mir in ihm das Herz auf. Das lag an einer Sängerin im roten Abendkleid, die zu dem Klavierspiel eines gelangweilt wirkenden Pianisten mit rauchiger Stimme sang:
Night and day, you are the one, only you beneath the moon or under the sun …
Es war amerikanische Musik!
Überall war sie verboten. Hier wurde sie gespielt. Und sie transportierte mich raus aus dem Britannia-Hotel, raus aus dem Ghetto und aus Polen. Weg von Krieg, Hunger und Leid. Über den Atlantik hin nach New York.
In Gedanken tanzte ich elegant mit Daniel über den Broadway, vorbei an Amerikanern, die ebenfalls paarweise über die Straße wirbelten wie Fred Astaire und Ginger Rogers in den Musicalfilmen. Dass ich in Wirklichkeit überhaupt nicht tanzen konnte, es nie gelernt hatte und im realen Leben vermutlich schon bei der einfachsten Schrittfolge über meine eigenen Füße gestolpert wäre, spielte für den Tagtraum keine Rolle. In ihm trug ich ein weißes Kleid und Daniel einen Zylinder, einen schwarzen Frack, eine schwarze Fliege und einen zu all dem wunderbar passenden weißen Seidenschal. Jedoch fiel mir unsere Auseinandersetzung von vorhin wieder ein und dass Daniel wohl kaum mit mir tanzen würde, auf dem Broadway oder sonst irgendwo, wenn er wüsste, dass ich mich gerade im Britannia-Hotel befand. Und mit einem Mal verwandelte sich mein Tagtraumtanzpartner in Stefan.
Think of you day and night, night and day …
In meiner Phantasie tanzte ich jetzt leichtfüßig mit Stefan dahin, obwohl ich ihn in all den Wochen zuvor nicht gesehen hatte und obwohl ich mir immer wieder vornahm, nicht an ihn zu denken, und ich mich jedes Mal schlecht gegenüber Daniel fühlte, weil ich es jeden Tag wieder aufs Neue tat.
Ich befahl dem tanzenden Stefan, sich in Daniel zurückzuverwandeln. Er weigerte sich.
Till you let me spend my life making love to you, day and night, night and day …
Die Sängerin hörte auf zu singen, der Pianist klimperte die letzten Töne des Liedes, aber mein Tagtraum war noch nicht beendet: Ich lag in Stefans Armen.
Mit all meiner Willenskraft löste ich mich aus seiner Umarmung und lief zu Daniel, der jetzt in seiner normalen Kleidung vor einem Kino am Broadway stand, in dem
Lichter der Großstadt
aufgeführt wurde. Ich umarmte Daniel, so fest ich nur konnte. Aus schlechtem Gewissen, aber auch weil er mein Halt, mein Leben, meine Liebe war. Und ich sagte ihm, halb aus Scham, halb aus Gefühl, den Satz, den ich ihm im echten Leben nicht sagen konnte: «Ich liebe dich.»
«Wo bist du denn in Gedanken, Mira?», lachte neben mir jemand, während der Klavierspieler «I get a kick out of you» anstimmte und die Sängerin sich an der Bar einen Schluck Wodka genehmigte und ein Zigarillo anzündete – kein Wunder, dass ihre Stimme so rauchig klang.
Es war Ruth, die neben mir stand. Sie trug ein rosa Negligé, schwarze Netzstrümpfe und schwarze Strapse, und sie war so stark geschminkt, dass sie viel älter aussah als sechzehn. Doch wer im Ghetto sah schon jünger aus, als er war?
«Und viel wichtiger», lachte Ruth, etwas überdreht, wie ich fand, «was zum Teufel machst du hier?»
Während ich mich sammelte, nickte sie dem Kellner zu, der zur Melodie von «I get a kick out of you» pfiff. Er schenkte Ruth sofort, ohne irgendetwas zu fragen, Champagner ein. Oder war es nur billiger Sekt? Ich kannte mich mit solchen Getränken rein gar nicht aus. Außer Rotwein beim Pessachfest hatte ich noch nie Alkohol getrunken. Was immer das Getränk auch war, Ruths Atem nach zu urteilen, war es nicht ihr erstes Glas heute. Auch nicht ihr zweites oder drittes. Das war wohl mit der Grund, dass sie so überdreht lachte. «Mira, du willst doch nicht etwa hier arbeit…»
«Nein! Nein!», unterbrach ich sie, noch bevor sie diesen schrecklichen Gedanken ganz aussprechen konnte.
«Gut», fand Ruth, «dafür bist du auch zu hässlich.»
«Sehr charmant», erwiderte ich.
«Sehr wahr», hielt sie dagegen.
Natürlich hatte sie recht: Mit der Schönheit der Frauen hier, die nicht mal durch ihre nuttige Aufmachung entstellt wurde, konnte ich nicht mithalten.
«Also, was willst du hier?», fragte Ruth noch mal und nahm einen Schluck.
«Ich will mich einer
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