28 Tage lang (German Edition)
stockte der Atem. Auch wenn die Deutschen auf ihr Eis konzentriert waren und uns überhaupt nicht beachteten, hatte ich Angst vor ihnen. Ich war kein Rubinstein, der ihnen ins Gesicht lachen konnte. Niemand war ein Rubinstein. Außer eben Rubinstein.
Der Türsteher nickte den Soldaten zu. Die nickten gelangweilt zurück. Dieser Austausch von Grußgesten verblüffte mich nicht. Die Deutschen erhielten von den jüdischen Verbrechern ihren Anteil an den Einnahmen, und natürlich besuchten Soldaten auch das Bordell. So sehr Herrenmensch waren sie dann doch nicht, dass sie ihre Triebe nicht bei einer Jüdin befriedigen wollten. Ob Ruth auch mit Deutschen ins Bett …
… darüber wollte ich gar nicht nachdenken.
Auch wenn der Türsteher sich bemühte, gelassen zu wirken, konnte ich in seinen Augen die Furcht erkennen. Seit der Nacht des Blutes erschossen SS -Patrouillen Juden ohne jeglichen Anlass, einfach so zum Spaß. Dabei machten sie selbst vor Gangstern nicht halt. Und auch nicht vor Kindern. Vor dem «Bersohn und Baumann»-Krankenhaus waren erst gestern drei Kinder von einem SS -Mann getötet worden. Das hatte mir eine der Frauen aus Kraków erzählt – ja, die Zeiten wurden so unsicher, dass unsere religiösen Mitbewohnerinnen nicht wussten, wohin mit ihren Ängsten, und sogar mit einer «Schlampe» wie mir redeten. Die Kinder hatten vor dem Krankenhaus einfach nur so dagesessen, und der SS -Mann hatte alle drei ohne Grund getötet. Nachdem ich davon gehört hatte, hätte ich Hannah am liebsten für immer in unserem Miła-Straßen-Loch weggeschlossen.
Der Türsteher atmete leise, aber deutlich vernehmbar durch, als die Soldaten sich entfernten. Seine Angst, so begriff ich, war meine Chance. Ich ging noch einen Schritt auf ihn zu, baute mich direkt vor ihm auf – ich reichte ihm gerade mal bis zum Kinn –, schaute zu ihm hoch und grinste: «Du weißt doch, wie Rubinstein sein Essen bekommt?»
Der Türsteher war von dieser Frage irritiert. So sehr, dass er komplett vergaß, mich wie Luft zu behandeln, und sagte: «Ja, das weiß ich, aber was soll das jetzt …?»
«Ich könnte jetzt rufen», grinste ich noch breiter, «dass Hitler erschossen gehört.»
«Das … das würdest du nicht tun.» Die Furcht kehrte wieder in seine Augen zurück.
«Ich bin bei Rubinstein in die Lehre gegangen», lachte ich und machte ein paar wilde Hüpfer auf der Straße in der Art des Ghetto-Clowns.
Der Türsteher wusste nicht so recht, was er von all dem halten sollte.
Ich hüpfte wieder direkt vor seine Füße und lachte: «Alle gleich!»
Meine Darbietung als Wahnsinnige war nicht total überzeugend, aber das musste sie auch gar nicht sein. Es reichte völlig, den Kerl einfach nur so weit zu verunsichern, dass er kein Risiko eingehen wollte.
«Also», fragte der Türsteher zögerlich, «Ruth ist wirklich deine Freundin?»
«Deswegen habe ich es gesagt.»
«Na ja, es kann ja nicht schaden, wenn du deine Freundin mal besuchst.»
«Nein, das kann es nicht», lächelte ich.
Ich ging an ihm vorbei, die beiden Stufen hoch, und betrat das Britannia-Hotel.
9
Am Eingang gab es eine Garderobe, die nicht besetzt war. An der ging ich vorbei und durch einen roten schweren Samtvorhang in den Barbereich. Das Licht hier war schummrig, anscheinend hielt man nichts davon, auch nur einen Strahl Tageslicht durch die Fenster zu lassen. Zigarettenrauch hing in der Luft, und dafür, dass die Kunden hier so viel Geld ließen, war das Mobiliar ziemlich schäbig. Einer der drei Kronleuchter hing schief von der Decke, das Holz der Theke war an vielen Stellen abgesplittert, und die Tischdecken waren so dreckig, dass man fast vermuten konnte, dass sie das letzte Mal vor dem Kriegsbeginn gewechselt worden waren. Aber die Männer, die hier schon am Nachmittag Wodka tranken, kamen ja auch nicht wegen des Tischdekors hierher, sondern wegen der jungen Frauen, die sie umgarnten und mit ihnen Alkohol tranken. Allesamt waren sie Schönheiten. Keine von ihnen war von Hunger ausgezehrt wie ich, jede besaß weibliche Rundungen. Die Huren waren natürlich alle geschminkt, die meisten von ihnen allerdings eindeutig zu grell. Eine Rothaarige jedoch, die an einem Tisch nah dem Eingang saß, hatte äußerst geschmackvoll roten Lippenstift und apartes Rouge aufgetragen. Ich hätte ihr die Schminke sogar geneidet – mir selbst so einen Luxus zu leisten war völlig undenkbar –, wenn ihr Körper von etwas mehr bedeckt gewesen wäre als einem Negligé und
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