Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
und folgte Stefan.
    Als ich um die Ecke bog, war er schon am Ende der Straße angelangt und verschwand hinter der nächsten Häuserecke. Wo immer er auch hinwollte, er hatte es eilig. Ich begann zu laufen und spielte mit dem Gedanken, ihm hinterherzurufen. Allerdings würde er wohl kaum auf Stefan hören, schließlich war das nicht sein richtiger Name. Und ich befürchtete, dass er dann erst recht wegrennen würde. Auch wenn ich ansonsten nichts über ihn wusste, war mir klar, dass er sich illegal betätigte.
    So hastete ich stumm um die nächste Straßenecke und fand mich in einer menschenleeren kleinen Gasse wieder, an deren Ende sich ein Zaun befand, der die Straße vom jüdischen Friedhof trennte. Stefan war nirgendwo zu sehen. War er über den Zaun geklettert?
    Ich rannte die Gasse runter, blickte durch die Maschen des Zauns, konnte jedoch niemanden auf dem Friedhof entdecken. Wo war er hin? Er war ja wohl kaum in einer Gruft verschwunden.
    Ich überlegte kurz, ob ich über den Zaun klettern sollte. Doch dann würde ich Gefahr laufen, von den Deutschen ohne Passierschein erwischt zu werden. Ich wollte Stefan zwar wiedersehen, aber mein Leben wollte ich für so eine Begegnung nicht aufs Spiel setzen. Es reichte schon, wenn ich heute Nacht auf die Mauer musste. Oh Mann, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Bei der Vorstellung, über die Scherben und den Stacheldraht der Mauer zu klettern, wurde mir schlecht.
    Noch einmal blickte ich durch den Zaun, Stefan war wirklich nirgendwo zu sehen. Ich riss mich los und ging die Gasse zurück. Ganz langsam. Vier-, fünfmal drehte ich mich um, immer in der vergeblichen Hoffnung, ihn vielleicht doch über den Friedhof huschen zu sehen. Langsam vermutete ich, dass er gar nicht über den Zaun geklettert war. Wo also war er hin?
    Ich blieb stehen. Ich hatte Durst. Ich hatte das letzte Mal heute Morgen etwas getrunken, im Britannia-Hotel war mir von meinem neuen Boss nichts angeboten worden. Wasser wäre jetzt schön gewesen. Apfelsaft noch besser. Obst und Wasser gemischt, das wäre göttlich. Viel göttlicher als Gott, dem es in meinen Augen ja eh an Göttlichkeit mangelte.
    Ich stand jetzt mitten in der Gasse und betrachtete die Gebäude. Sie waren völlig heruntergekommen, noch schlimmer als im Rest des Ghettos. Die Scheiben waren so gut wie alle zerstört, das Mauerwerk bröckelte an vielen Stellen, und einem Haus fehlte sogar das Dach. Die deutschen Panzer hatten hier beim Einmarsch ganze Arbeit geleistet.
    Mein Blick fiel auf eine offene Tür, die in ein baufälliges Haus führte, von dem man annehmen musste, dass es irgendwann in den nächsten Wochen oder Monaten in sich zusammenfallen würde. Ob Stefan darin verschwunden war?
    Auch wenn das nicht sehr wahrscheinlich war, beschloss ich, auf gut Glück hineinzugehen. Das würde mich nicht nur von meinem Durst ablenken, sondern auch von meiner Angst vor dem Mauergang heute Nacht. Und vielleicht, ganz vielleicht, würde ich Stefan ja tatsächlich dort finden.
    Ich betrat das Treppenhaus, in dem es erbärmlich stank. Auch hier lebten Menschen, aber diese hier vegetierten nur vor sich hin, sie machten sich nicht mal mehr die Mühe, ihre Exkremente zu entsorgen.
    Auf dem ersten Treppenabsatz lag ein ausgezehrter Mann, der nur vor sich hinstarrte. Er sah steinalt aus, vermutlich war er allerdings noch nicht einmal vierzig. Der Mann nahm mich nicht wahr, es war völlig sinnlos zu fragen, ob er einen blonden Kerl hatte vorbeilaufen sehen. Was immer seine leeren Augen auch sahen, es existierte nicht in dieser Welt.
    Ich ging weiter hoch, vorbei an lauter Menschen, die nicht ansprechbar waren. Obwohl mir von dem Gestank der Exkremente übel wurde, wollte ich die Suche nach Stefan noch nicht aufgeben. Neun Wochen lang hatte ich mir ausgemalt, wie es wohl sein würde, ihn wieder zu treffen – immer geplagt vom schlechten Gewissen Daniel gegenüber. Jetzt wollte ich auf keinen Fall mit dem Gefühl nach Hause gehen, nicht alles versucht zu haben.
    Im ersten Stock gab es drei Wohnungstüren. Sollte ich einfach klopfen und, wenn mir aufgemacht würde, nach einem blonden jungen Mann fragen?
    Eine der Türen war nur angelehnt, das Schloss irgendwann aufgebrochen worden. Schätzungsweise hatte eine Diebesbande hier einmal zugeschlagen. Andererseits: Was sollte die hier schon groß holen?
    Ich drückte sanft gegen die Tür. Sie öffnete sich einen Spalt. Aus der Wohnung drang kein Gestank von Exkrementen, es roch nur muffig.
    Durch den

Weitere Kostenlose Bücher