Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
das Gleichgewicht verlor und mit dem Napf zu Boden fiel. Der ganze Bohnenbrei platschte auf die Straße.
    «Oh nein!», rief die Alte entsetzt.
    Das Mädchen aber warf sich, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, zu Boden und schlabberte hastig den Brei von der dreckigen Straße auf. Wie ein Straßenköter.
    Die Alte begann auf es einzuprügeln: «Du Diebin, du Diebin, du Diebin, du gemeine Diebin …»
    Das Mädchen spürte die Schläge allerdings nicht, es futterte den Brei, so schnell es konnte.
    Die Kraft verließ die Alte, sie hörte auf zu prügeln und begann nun leise zu schluchzen: «Das war mein letztes Geld … mein letztes Geld …»
    Ich betrachtete die kleine Diebin, die sich den Magen, so gut es ging, füllte, und ich fragte mich, was ich alles tun würde, wenn mein letztes Geld weg war und ich so hungrig wäre wie die beiden. Würde ich andere bestehlen? Auf andere einschlagen? Vom dreckigen Boden essen?
    Daniel legte den Arm um mich und sagte sanft: «So verzweifelst wirst du nie werden.»
    Er kannte wirklich alle meine Ängste.
    «Nein, das werde ich nicht …», antwortete ich und war mir mit einem Mal auch sicher, denn der Anblick des zur Hündin verkommenen Mädchens machte mir endgültig klar: Ich durfte nicht mehr länger untätig bleiben.
    Ich musste wieder schmuggeln. Aber anders als zuvor. Gerissener. Und vor allen Dingen: nicht mehr allein.
    Daniel dürfte von all dem nichts erfahren. Weder wollte ich, dass er sich Sorgen machte, noch hatte ich Lust, mich mit ihm deswegen auch nur eine einzige Sekunde herumzustreiten.
    «Ich kenne diesen Blick», sagte Daniel.
    «Welchen?»
    «Diesen Blick, der verrät, dass du etwas sehr, sehr Unvernünftiges vorhast.»
    «Ich habe nichts vor», log ich.
    «Schwörst du mir das?»
    «Ich schwöre es.»
    Er glaubte mir kein bisschen.
    «Bei den Kindern im Heim», lächelte er, «schau ich immer nach, ob die beim Schwören nicht heimlich die Finger kreuzen.»
    «Ich bin kein Kind.»
    «Manchmal schon.»
    Es gab Augenblicke, da hasste ich seine Art, so zu tun, als wäre er Jahre älter als ich und nicht nur sieben Monate.
    «Wenn du mich noch einmal Kind nennst, geh ich sofort nach Hause.»
    «Gut», wehrte er ab, als wollte er es nicht auf die Spitze treiben. «Ich kann deinem Schwur also glauben.»
    Er sah mich dabei prüfend an.
    «Das kannst du», antwortete ich mit fester Stimme. Ich rang mir sogar noch ein leichtes, möglichst unschuldiges Lächeln ab, um besonders überzeugend zu wirken.
    Daniel zögerte, dann nickte er, als habe er sich entschieden, mir zu vertrauen. Manchmal war er das naive Kind von uns beiden. Das machte ihn umso liebenswerter.
    «Ich muss zurück ins Waisenhaus, Mittagessen vorbereiten», erklärte er, mochte sich aber noch nicht ganz von mir losreißen. Ich gab ihm einen sanften Kuss auf den Mund, damit es ihm leichter fiel. Darauf lächelte er, verabschiedete sich ebenfalls mit einem Kuss und ging beruhigt davon, in der festen Überzeugung, ich würde zu meiner Familie in die Miła-Straße zurückkehren. Tatsächlich machte ich mich auf den Weg zu Ruth. Zum berüchtigten Britannia-Hotel.

8
    Bei der Leuchtreklame, die den Namen des Etablissements selbst bei Tag in rotem Licht erleuchten ließ, flackerte das H von «Hotel». Unter dem H stand ein bulliger Türsteher. Er trug trotz des sommerlichen Wetters einen langen Trenchcoat, ganz so, als ob er sich für einen großen Gangster hielte. Dabei war er nur ein einfacher Schläger, der den echten Bossen im Ghetto zu Diensten zu sein hatte. Männern, mit denen Ruth jede Nacht ins Bett stieg.
    Der Türsteher achtete darauf, dass nicht jeder die Bar mit angeschlossenem Bordell betrat. Nur wer viel Geld besaß und auch die Bereitschaft, es für Alkohol und Sex auszugeben, durfte an ihm vorbei. Oder, so hoffte ich, wer eine Freundin hatte, die in dem Laden arbeitete.
    Ich ging direkt auf ihn zu und sagte: «Guten Tag, ich bin eine Freundin von Ruth.»
    Der Türsteher tat so, als ob ich nicht existierte.
    Das war nicht ganz die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. «Ich möchte gerne zu ihr», insistierte ich.
    «Und ich möchte gerne fliegen können.»
    Türsteher und Komödiant. Eine seltene Kombination. Und auch keine schöne.
    «Ruth erwartet mich», log ich.
    Der Kerl tat wieder so, als wäre ich Luft, und richtete seinen Blick an mir vorbei auf zwei deutsche SS -Soldaten, die mit geschulterten Gewehren auf der anderen Seite der Straße entlanggingen und Eis schleckten. Mir

Weitere Kostenlose Bücher