28 Tage lang (German Edition)
waren.
Der Aasfresser zog seinen Knüppel aus dem Gürtel.
«Ihr gebt mir die Tasche und kommt mit dem Leben davon», erklärte ich, nicht hastig, aber doch schnell genug, damit er nicht auf mich einschlug. «Der ŻOB hat die Bank umstellt. Wenn ich nicht innerhalb von fünf Minuten mit der Tasche rauskomme, kommen unsere Leute hier herein und erschießen euch.»
Die beiden waren sich nicht ganz sicher, ob ich bluffte oder nicht. Aber natürlich wussten auch sie, dass der ŻOB in der letzten Zeit schon jüdische Kollaborateure getötet hatte und gewiss auch nicht vor polnischen Polizisten haltmachen würde.
Bevor ihre Zweifel überhandnehmen konnten, redete ich von oben herab, so als ob ich tatsächlich die Macht über ihr Leben und ihren Tod besäße: «Also gebt mir jetzt schön die Tasche.»
Statt das zu tun, eilte der Aasfresser zu den Fenstern und versuchte zwischen den Holzbrettern irgendetwas auf der Straße zu erkennen. Natürlich sah er keine Widerstandskämpfer. Die standen ebenso wenig vor der Bank wie sprechende Hasen. Ich erzählte eine Geschichte, wie Hannah es immer getan hatte. Nur ging es bei dieser hier um mein Leben.
«Ich seh niemanden», sagte der Aasfresser zu der Fistelstimme. Er traute sich allerdings auch nicht hinauszugehen, nachher stimmte es, was ich gesagt hatte, und er würde auf der Stelle erschossen.
«Fünf Minuten habt ihr», ging ich gar nicht auf ihn ein. «Spätestens dann stellt ihr die Tasche vor die Tür.»
Ich wandte mich zum Gehen, wollte ich doch aus der Bank heraus, denn ganze fünf Minuten würde ich gewiss nicht so souverän mein Theaterspiel durchhalten. Aber wenn ich den Polizisten nur eine Minute gegeben hätte, wäre das womöglich zu wenig Zeit gewesen, um sie so mürbe werden zu lassen, dass sie aufgaben.
Gerade griff ich nach der Türklinke, da packte mich der Aasfresser an der Schulter: «Du bleibst hier!»
Ich drehte mich zu ihm um. Jetzt nur keine Schwäche zeigen, mir nicht anmerken lassen, dass ich log.
«Du willst wirklich, dass ich hierbleibe?», fragte ich und sah direkt in seine Augen.
«Als Geisel!», donnerte er, und sein schlechter Atem wehte mir dabei wieder heftig in die Nase.
«Und unser Preis», setzte die bärtige Fistelstimme noch eins drauf, «für dich und die Pistolen sind jetzt 400000 Złoty.»
«Na gut», erwiderte ich, befreite meine Schulter aus dem Griff des Aasfressers und ging in die Mitte des Raumes. «Dann bin ich jetzt eben eure Geisel.»
Ihnen gefiel es nicht, wie gelassen ich das scheinbar nahm.
«Und ihr», ergänzte ich, «seid unsere Geiseln.»
Jetzt blickten die beiden unsicher zu den Fenstern, sahen aber natürlich nur die Bretter. Der Aasfresser wandte sich wieder mir zu, hob seinen Knüppel hoch und erklärte: «Wenn die uns das Geld nicht geben, schlag ich dein Hirn zu Brei!»
Früher, als ich noch kein Gespenst war, hätte ich in so einem Moment Angst bekommen, weil Hannah und Mama ohne mich nicht lange hätten durchhalten können, aber auch weil ich hatte weiterleben wollen. Doch als Gespenst lebte ich nicht mehr richtig und hatte nur noch Angst um die Waffen. Die Pistolen waren zwar alt, schäbig, vielleicht sogar teilweise kaputt, aber sie waren die besten, die wir besaßen. Mit ihnen würde der Widerstand Deutsche töten können. Fünf oder zehn oder vielleicht sogar Dutzende. Jede Kugel würde uns Juden etwas Würde zurückgeben. Diese alten Pistolen waren so viel mehr wert als mein Leben.
«Wenn ihr mich tötet, werdet ihr in jedem Fall umgebracht», bluffte ich weiter.
Der Aasfresser schlug mit seinem Knüppel in seine Hand, es sollte drohend wirken, aber es verriet nur seine aufsteigende Panik. Bei der Fistelstimme trat sogar Angstschweiß auf die Stirn. Auch wenn ich keine Macht über das Leben der beiden besaß, fürchteten sie, dass ich es ihnen nehmen könnte. Und das verlieh mir dann doch echte Macht über sie. Es war das erste Mal, dass solche Schweine vor mir richtig Angst hatten.
Es war wunderbar.
Das erste Mal seit Hannahs Tod fühlte ich mich wieder lebendig. Auf eine Art, wie ich mich noch nie zuvor lebendig gefühlt hatte.
«Habt ihr Kinder?», fragte ich.
Ich hoffte so sehr, dass diese Bastarde welche hatten, denn dann würden sie noch mehr Angst haben zu sterben.
Sie schwiegen. Das bedeutete ja.
Ich streckte die Hand aus und forderte sie auf: «Die Tasche …»
Keiner der beiden machte Anstalten, sie mir zu geben.
«Bitte», lächelte ich.
Der Aasfresser nahm die Tasche
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