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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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schmeckte widerlich, doch das Saugen ließ mich spüren, dass ich Durst hatte.
    Ich sah aus dem Fenster, das nun halb zerstört war. Ein leichter, frischer Wind wehte mir entgegen. Die Nacht war kühler als in den letzten Wochen, der Herbst kündigte sich an, der Winter der Seelen war schon längst da.
    Ich öffnete das Fenster ganz, um noch mehr von der Luft einzuatmen, als ob sie mir den Durst löschen könnte. Dabei löste sich weiteres Glas und fiel auf die Straße. Wieder kamen keine Deutschen.
    Ich starrte runter zu den Scherben, die ich im Dunkeln nicht wirklich erkennen konnte. Vielleicht sollte ich einfach springen. So wie es mein Vater getan hatte. Jetzt erst verstand ich ihn. Und konnte ihm verzeihen.
    Doch würde ich mich wie er in den Tod stürzen, läge ich nicht bei Hannah.
    Meine Hand blutete noch immer. Ich saugte weiter an ihr. Ich hatte einen solchen Durst. Seit einem Tag hatte ich nichts mehr getrunken. Von Sekunde zu Sekunde wurde ich wirrer, ich wollte mir das Leben nehmen, aber ich wollte auch trinken. Mein Geist wollte sterben, meine Seele war schon längst tot, mein abgemagerter Körper aber wollte überleben.
    In der Speisekammer musste noch ein Krug mit Wasser sein, aus ihm könnte ich trinken, falls die Deutschen ihn nicht zerschossen hatten. Ich ging vom Fenster weg zu der Kammer und sah auf die drei toten Leiber. Sie wirkten jetzt unwirklich. Als ob diese von Kugeln zerfetzten Körper nichts mehr mit Hannah, Ruth und Mama gemein hätten. Die Seelen hatten sie verlassen, und jetzt lag da nur noch totes Fleisch in geronnenem Blut.
    Hinter den Leichen, auf dem Boden, stand der Tonkrug mit Wasser. Ich machte einen Schritt im dunklen Zimmer, um ihn zu holen. Dabei trat ich auf Mamas Arm. Ich hielt kurz inne, nahm meinen Fuß von der Leiche und starrte sie an. Lange.
    Ich hatte ihr nie gesagt, dass ich sie liebe.
    Mein Blick wanderte zu der zerfetzten seelenlosen Hülle, die von Hannah geblieben war. Ihr Tod war so sinnlos. Und damit auch ihr gesamtes Leben.
    So wie mein Leben.
    Mein Tod.
    Ich beugte mich zu dem Krug und hob ihn hoch. Im Dunkeln konnte ich nicht erkennen, ob vielleicht Blut im Wasser war, es hätte welches hineinspritzen können. Ich führte ihn an den Mund und ließ ein klein wenig Wasser über meine trockenen Lippen laufen. Es schmeckte abgestanden. Aber nicht nach Blut. Ich setzte den Krug erneut an und trank etwas mehr Wasser. Nicht zu schnell, um mich nicht zu verschlucken. Ich nahm noch einen weiteren Schluck. Und noch einen und noch einen, bis der Krug leer war.
    Danach war ich mit einem Mal ganz klar.
    Es gab keinen Durst mehr, der mich ablenkte. Ich wollte immer noch sterben, das ja. Sogar noch mehr als zuvor. Ich würde mir aber nicht die Adern aufreißen. Oder springen. Ich musste anders sterben. Ganz anders. Und auch nicht jetzt. Nicht heute. So ein Selbstmord wäre sinnlos. Mein Tod müsste einen Sinn ergeben. Nur so könnte auch der von Hannah einen bekommen. Und ihr Leben.
    Und der Rest von meinem.

36
    «Hier sind die Waffen», sagte Esther ganz sachlich und zeigte auf eine braune Reisetasche, die auf dem Boden neben den Überresten der Druckerpresse stand, die die SS bei der Verhaftung von Zacharia zerstört hatte. In der Tasche lagen fünf Pistolen. Ein Schatz für den Widerstand. Für den jüdischen. Für den polnischen waren solche Waffen lächerlich. Sie stammten allesamt aus dem Ersten Weltkrieg und waren für teures Geld von polnischen Schwarzmarkthändlern gekauft worden, die sich bestimmt immer noch darüber kranklachten, dass sie 15000 Złoty pro Waffe kassiert hatten. Ich vermutete sogar, dass die eine oder andere von den Pistolen im Ernstfall klemmen würde.
    «Die bringst du zur Gruppe von Breul, in der Karmalicka-Straße», ordnete Esther an, «im Gegenzug bekommst du Handgranaten.»
    «Ich soll alleine gehen?», fragte ich überrascht.
    «Ja.»
    Mir gefiel das nicht, aber ich mochte auch nicht widersprechen. Es war mein erster Auftrag für unsere Gruppe. Endlich konnte ich mich also als nützlich erweisen und zeigen, dass das Geld, das der Widerstand auf dem Umschlagplatz für mich gezahlt hatte, nicht verschleudert gewesen war.
    Ich nahm die Tasche und ging aus der Küche heraus, ohne dass Esther sich von mir verabschiedete. Sie hielt nicht viel von mir, glaubte nicht daran, dass ich das Zeug zur Kämpferin hatte. Mir war egal, was sie dachte. Mir war alles egal. Nur eins nicht, ich wollte nicht sterben, ohne Deutsche mit in den Tod zu reißen.

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