28 Tage lang (German Edition)
Pistole hervor und richtete sie auf diese Schweine. Sie wichen zurück. Ich wollte sie töten. Unbedingt. Aber ich brachte es nicht fertig abzudrücken. Nicht mal in meiner Phantasie.
Mit gezogener Waffe befahl ich den SS -Leuten, aus der Wohnung zu gehen. Auch dem Einbeinigen, der Gift und Galle spuckte: «Die Welt der 777 Inseln wird dein Ende bedeuten. Der Spiegelmeister wird deinen Verstand vernichten!»
Ich lachte ihn nur aus: «Ich werde ohnehin bald sterben. Da hab ich doch keine Angst vor Spiegelbildern.»
Ich öffnete den Reiseführer und schlug die Seite auf, auf der die Schalinsel beschrieben wurde. Eh ich mich’s versah, wurde ich von dem Buch aufgesogen, aus unser Welt wegtransportiert, landete direkt auf der Insel und spürte den Sand unter meinen nackten Füßen. Der Werwolf schlummerte zusammengerollt neben dem Lagerfeuer, und der Sandmann wollte gerade die laut schnarchende Hannah mit seinem purpurnen Dolch töten, da nahm ich meine Pistole und schoss in die Luft. Panisch ließ der Sandmann den Dolch fallen.
Hannah, Ben Rothaar und Kapitän Karotte schreckten vom Lärm des Schusses hoch. Nur der Werwolf, der ja Schlafsand in den Augen hatte, schlief weiter. Der Sandmann starrte auf meine Pistole, sein Gesicht wurde noch um einiges bleicher, und er fragte mich mit tiefer, melancholischer Stimme: «Welch magisches Feuerwerk ist dies?»
«Eines, mit dem ich dich durchsiebe, wenn du nicht verschwindest.»
Er brauchte keine Sekunde, um sich in einen Nebel zu verwandeln und über das Meer davonzuwehen.
«Mira?», fragte Hannah und rieb sich die Augen «Mira, bist du das wirklich?»
«Na klar», lachte ich.
Meine kleine süße Schwester rannte auf mich zu und drückte mich und drückte mich und drückte mich. Und ich drückte zurück. Ich war so glücklich. Ich hatte Hannah das Leben retten können. Wenigstens hier.
39
An jenem 18 . Januar 1943 , an dem die Deutschen kamen, um uns endgültig zu vernichten, herrschten minus 20 Grad, und auf den Straßen lag Schnee. Amos, Esther und ich standen frühmorgens in der unbeheizten Küche an der von uns zuvor in tagelanger Kleinarbeit reparierten Druckerpresse und druckten ein Flugblatt, in dem wir die jüdische Bevölkerung zum Widerstand bis in den Tod aufforderten. Oder besser gesagt, Esther und Amos druckten; ich versuchte meine Finger durch Reiben aufzuwärmen. Da stürmte Mordechai Anielewicz in den Raum. Wir waren alle erstaunt: Der Anführer des ŻOB kam eigentlich nie unangekündigt zu uns, außerdem fiel uns sofort auf, dass sein schmales Gesicht an jenem Morgen sehr bleich war. Diesen Mann erschütterte normalerweise nichts. Er gehörte mit fast Mitte zwanzig zu den älteren Mitgliedern des Widerstands, organisierte uns Kämpfer, trieb uns an, munterte uns auf und machte uns dabei viel größer, als wir in Wirklichkeit waren. Mordechai schaffte es mit seinen Ansprachen, dass wir tatsächlich daran glaubten, mit unseren alten Waffen etwas erreichen zu können und dem jüdischen Volk die Würde zurückzugeben, die es verloren hatte.
Mordechai brauchte keine Uniform, um uns zu führen. Er trug schäbige Knickerbocker und eine graue Jacke. Er besaß einfach nur viel mehr Energie als wir anderen. Selbst mehr als Esther, die ich immer dafür bewunderte, wie hart sie arbeiten konnte und dass sie nur im Schlaf mit ihrer Trauer rang.
«Was machst du hier?», fragte Esther Mordechai.
Ich selbst hätte mich gar nicht getraut, ihn anzusprechen. Auch wenn er uns alle wie seinesgleichen behandelte, konnte ich mich diesem Mann gegenüber nicht ebenbürtig fühlen.
Esther hingegen war nicht nur eine der wenigen Frauen, die eine Kampfgruppe anführten, sie kannte Mordechai auch schon aus der Zeit vor dem Krieg. Beide waren damals Mitglieder der Hashomer Hatzair gewesen und mit der Gruppe in Sommerlager an Seen oder sogar ans Meer gefahren, um dort für ein Leben in Palästina vorbereitet zu werden.
Ob die beiden früher mal zusammen waren? In einer Zeit, als es noch keinen Widerstand gegeben hatte, der ihnen wichtiger als alles andere war, auch als die Liebe?
«Es gibt eine neue Aktion», erklärte Mordechai ohne Umschweife, «die Deutschen haben bereits einige Straßen abgeriegelt.»
Das kam für uns alle wie ein Schock. Wir wussten, dass die SS im polnischen Teil der Stadt nach versteckten Juden suchte, und waren davon ausgegangen, dass sie sich darauf konzentrierte und wir im Ghetto noch etwas Zeit haben würden, uns zu organisieren.
«Wer
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