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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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eine Sekunde zu zögern: «Ja!»
    Michal nahm sie in seine starken Arme und drückte sie an sich. Wir anderen jubelten ausgelassen, als ob wir gerade die Deutschen aus Polen oder noch eher vom Erdball vertrieben hätten. So viel Freude hatte keiner von uns seit langem verspürt. Wir jubilierten, bis Miriam ihren Michal darauf aufmerksam machte, dass er sie fast erdrückte, und er sie daraufhin losließ.
    Es war ein Moment des Glücks im Bunker, wie ich ihn nie für möglich gehalten hätte. Und dennoch fühlte er sich falsch an, denn sosehr Michal Miriam auch liebte, sie war in meinen Augen einfach nicht für ihn bestimmt.
    Als wir zwei Tage später gemeinsam Wohnungen nach Wertsachen durchsuchten, mit denen Emissäre des ŻOB auf dem polnischen Schwarzmarkt Waffen finanzieren sollten, konnte ich nicht anders, als Miriam nach dem zu fragen, was ich nicht verstand: «Warum hast du ja gesagt?»
    Miriam lächelte, strich sich eine ihrer widerspenstigen Locken aus dem Gesicht und antwortete, ohne irgendetwas verschleiern zu wollen oder zu müssen: «Ich habe niemanden mehr. Meine Eltern sind tot. Und ich werde nicht mehr lange leben. Ich kann also den Rest meines kurzen Lebens alleine sein oder einen Mann heiraten, den ich nicht liebe, der aber mich liebt. Michal ist das Einzige an Glück, was ich kriegen kann, und das ist viel besser als nichts.»
    Jetzt verstand ich. Auch wenn ich so nie hätte handeln können wie Miriam. Aber ich hätte auch nicht mehr so lieben können wie Michal. Hatte ich das überhaupt je gekonnt? Liebte er Miriam nicht viel mehr, als ich Daniel geliebt hatte?
     
    Es gab nur einen Ort, an dem ich überhaupt noch Liebe geben und empfangen konnte. Das war die Welt der 777  Inseln.
    Als ich am Abend im nächtlichen Bunker lag, die Augen geschlossen, aber nicht einschlafen konnte, dachte ich an mein Erlebnis in der Bank zurück: Hätte ich an jenem Tag nicht an Hannah und an ihre Geschichten gedacht, wäre ich nie auf die Idee gekommen, den Polizisten zu erzählen, dass Widerstandskämpfer die Bank umstellt hatten. Hannah hatte mir also, obwohl sie tot war, das Leben gerettet.
    Zuvor hatte ich beim Gedanken an sie immer nur das Bild ihrer zerfetzten Leiche vor Augen, doch nun sah ich meine kleine Schwester wieder vor mir, wie sie bei schwachem Kerzenlicht in der Speisekammer saß, und erinnerte mich an das Letzte, was sie uns von den 777  Inseln erzählt hatte:
    Der Spiegelmeister hatte gerade seinen Helfer, den schrecklichen Sandmann, entsandt, um die Auserwählte zu töten. Hannah und die Besatzung der
Langohr
ahnten nichts von der drohenden Gefahr und schliefen friedlich am Strand der Schalinsel, die regiert wurde von König Schal dem Ersten. Während Ben Rothaar, Hannah und Kapitän Karotte um die Wette schnarchten, hielt der Werwolf Wache. Da schwebte ein Nebel herbei, ganz, ganz leis und verwandelte sich in eine feste Gestalt. Es war der fahlgesichtige Sandmann.
    Der Werwolf war erstaunt, doch noch bevor er seinen Säbel ziehen konnte, streute der Sandmann ihm Sand in die Augen. Der Werwolf grummelte noch: «Dich mach ich fertig …», tat jedoch nichts dergleichen, schlief stattdessen noch im Stehen ein und fiel zu Boden.
    In diesem Augenblick realisierte ich, dass Hannah die Geschichte nie so weit erzählt hatte. In meiner Phantasie hatte ich mir einfach zusammengesponnen, wie sie sich das alles ausdachte. Plötzlich war also ich diejenige, die die Welt der 777  Inseln am Leben erhielt.
    Kaum begriff ich es, kam mir ein aufregender Gedanke: Ich könnte mich selbst in diese Welt hineinphantasieren und so meine kleine Schwester wiedersehen.
    Natürlich durfte ich nicht einfach so aus dem Nichts auf der Schalinsel auftauchen, das hätte keine gute Geschichte ergeben. Daher malte ich mir aus, wie ich in einer der verlassenen Ghettowohnungen einen weiteren Reiseführer für die 777  Inseln fand und wie der einbeinige Buchverkäufer, von dem Hannah und Ben ihr Exemplar gestohlen hatten, mir diesen Reiseführer noch in der Wohnung abnehmen wollte. Begleitet wurde der Einbeinige von zwei SS -Leuten, die ebenfalls hinter dem Buch her waren. Die Deutschen wollten nicht nur unsere Welt erobern, sondern auch die der 777  Inseln. Vermutlich auch alle anderen: die von Alice im Wunderland, von Winnie Puh, von Lord Peter Wimsey, auch die von Lichter der Großstadt – die Dämonen würden vor nichts haltmachen.
    Bevor die SS -Leute ihre Waffen zücken konnten, holte ich aus meiner Manteltasche eine

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