2884 - Im Netz der Spinne
kauernden Position hoch und bewegte sich langsam in meine Richtung. Falls sie schuldbewusst war, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Trotzig schob sie die Unterlippe vor. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und schaute mich herausfordernd an.
»Was wollen Sie eigentlich von mir, Agent Cotton? Seit wann ist es verboten, sich in Seitengassen der Flushing Avenue aufzuhalten? Reicht es Ihnen noch nicht, dass Sie mich aus der Schule haben werfen lassen?«
»Halten Sie den Mund«, zischte ich. »Ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie eine FBI-Aktion gefährden? Ach, warum frage ich Sie das. Natürlich ist es Ihnen bewusst. Sie müssen mich nicht für einen Dummkopf halten. Natürlich sind Sie nicht zufällig hier. Sie wollen unbedingt erfahren, was dieser Informant mir zu sagen hat. Aber dass Sie durch Ihr Verhalten womöglich das Leben der Kinder aufs Spiel setzen, das ist Ihnen offenbar egal. Für Sie zählt doch nur die Einschaltquote. Wo haben Sie eigentlich Ihren Kameramann? In der Mülltonne dort?«
»Ich lasse mir von Ihnen kein schlechtes Gewissen einreden, Agent Cotton. Wenn das FBI so viele Informationen zurückhält, dann müssen die Medien eben ungewöhnliche Wege beschreiten. Unsere Zuschauer haben ein Recht darauf, alles über den dramatischen Entführungsfall zu erfahren.«
Es passte mir überhaupt nicht, dass die Journalistin hier aufgetaucht war. Der Anrufer hatte betont, dass ich allein kommen sollte. Wenn er Liz O’Neill für eine Kollegin von mir hielt, dann war das Treffen womöglich schon geplatzt. Ich hatte keine zündende Idee, wie ich diese Klette loswerden konnte. Schließlich konnte ich keine Gewalt gegen sie anwenden, das wäre nicht in Frage gekommen. Und freiwillig würde Liz O’Neill gewiss nicht das Feld räumen.
Da krachte plötzlich ein Schuss.
Die Reporterin schrie erschrocken auf. Sie war auf keinen Fall so hartgesotten, wie sie sich gerne gab. Die Waffe war nicht in unserer unmittelbaren Nähe abgefeuert worden. Ich hatte nirgendwo Mündungsfeuer aufblitzen sehen. Das Geräusch musste entweder von der Flushing Avenue oder aus einer der angrenzenden Seitengassen gekommen sein.
»Bleiben Sie in Deckung, Miss O’Neill.«
Diesen Satz rief ich der Journalistin zu, während ich mich umdrehte und zur Flushing Avenue zurückrannte. Ich wusste nicht, ob Liz O’Neill sich an meine Anweisung hielt. Schließlich konnte ich nicht ihren Babysitter spielen, während in meiner unmittelbaren Nähe eine Schießerei über die Bühne ging.
Denn nun wurde noch einmal gefeuert.
Wenn ich mich nicht täuschte, dann kam der zweite Schuss aus derselben Waffe. Nun ertönten Autohupen, Bremsen quietschten, ein Fahrzeug legte mit radierenden Reifen einen Kavalierstart hin.
Ich hatte nun wieder die Flushing Avenue erreicht. Und ich sah nur noch die Bremsleuchten eines Autos, das sich in rasender Geschwindigkeit entfernte. Phil lief quer über die Fahrbahn, er hatte ebenso wie ich seine Dienstwaffe in der Hand. Zwischen dem ersten und dem zweiten Schuss konnten höchstens dreißig Sekunden vergangen sein.
»Ich wollte dir gerade in die Gasse folgen, Jerry. Da hielt plötzlich dieser blaue Buick Skylark direkt vor der Wäscherei. Im nächsten Moment krachte der erste Schuss. Offenbar hat der Beifahrer gefeuert. Soweit ich sehen konnte, saßen nur zwei Personen in dem Wagen. Von der gegenüberliegenden Straßenseite hatte ich nur die Fahrerseite im Blickfeld. Ich zog meine SIG und kam hinter dem Kistenstapel hervor, da wurde die Waffe noch mal abgefeuert. Aber die Täter haben mich gar nicht beachtet. Sie hatten es auf jemand anderen abgesehen. Das Ziel muss in der Gasse links von der Wäscherei gewesen sein.«
Während Phil mir diese Informationen gab, näherten wir uns schnell dem Durchgang. Ich selbst war ja in der anderen Gasse rechts von der Wäscherei gewesen, wo ich diese unglückselige Liz O’Neill angetroffen hatte. Sie kam nun auf uns zugerannt.
»Was macht die denn hier?«, fragte Phil gereizt. Aber im nächsten Moment verstummte er. Mein Freund und ich hatten nämlich vorne in der Gasse einen blutüberströmten Körper gefunden. Unsere Taschenlampenstrahlen trafen auf einen toten Mann, offenbar einen Latino. Er war von einer Kugel in den Kopf, von der anderen in die Brust getroffen worden. Für den armen Teufel kam jede Hilfe zu spät. Man musste kein Arzt sein, um das beurteilen zu können. Sein Mund stand halb offen, die toten Augen starrten ins Nirgendwo.
Ob wir den anonymen
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