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289 - Circus des Schreckens

289 - Circus des Schreckens

Titel: 289 - Circus des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Paradigi
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durch den Kopf. Sie war am widerstandsfähigsten mit der Kuppel in der Mitte und den vielen stahlverstärkten Streben.
    Elinja regte sich in seinem Arm, doch er hielt sie mit aller Kraft an sich gedrückt, als er den Gang entlang lief, immer wieder von den Erschütterungen und herabbrechenden Betonstücken gegen die Wände gedrängt. Tiere jeder Art kamen ihm entgegen, überholten ihn oder lagen eingeklemmt und erschlagen in ihren Zellen.
    So hatte Khalil sich seine Rettungsinsel nicht vorgestellt - nicht, dass sein letzter Zirkus auch zu seinem Grab und dem Grab aller Verbündeter wurde.
    Schließlich erreichte er sein Ziel: Der Gang mündete in das große geräumige Rund der Manege. Aber auch hier tobte das Chaos. Zusammengetrieben von den Soldaten, waren die Menschen gleich dutzendweise unter herabregnenden Trümmern begraben worden.
    Doch Freund und Feind hatten längst ihre Positionen aufgegeben. Jeder rang um sein eigenes Überleben, versuchte sich in die jeweils sicherste Ecke zu drängen und gleichzeitig den Tieren auszuweichen, die in ihrer Panik eine zusätzliche Bedrohung darstellten. Pferde, die vom Fluchtinstinkt getrieben quer durch die Menschen galoppierten, sich aufbäumten, ausschlugen. Kamele und Lamas, die orientierungslos umherirrten. Und dazwischen allerlei Kleintiere, die sowohl für die Shows, als auch für die Sicherstellung der Nahrung gedacht gewesen waren.
    Khalil setzte Elinja erst ab, als das Wüten draußen nachließ. Die Menschen hielten inne. Die Tiere verfielen in einen weniger gehetzten Trab und verharrten schließlich schwer atmend auf der Stelle. Einzig das Scharren der Füße auf dem Boden, das leise Rieseln von Staub und Gestein war für diesen einen Augenblick zu hören, als die Welt stillzustehen schien.
    Der Blick des Gewichthebers wanderte durch den halbdunklen Raum. Er sah Baran stehen, das Gesicht blutig, die Kleidung an Rücken und linkem Arm aufgerissen, die Haut darunter zerschrammt. Das Stöhnen weiterer Verletzter mischte sich in die Ruhe. Leises Wimmern. Dann ein Aufschrei. Gezeter. Hektisches Treiben, als einer der Hodschatoleslam wild gestikulierend um einen Elefanten herumlief, der sich wie zu einer Zirkusnummer hingesetzt und die Vorderbeine gehoben hatte. »Schnell! Er ist eingeklemmt! Tut doch was!«
    Als die Soldaten ihre Waffen zückten und das Tier mit den Gewehrläufen traktierten, schüttelte Khalil sich den Staub aus Haar und Bart und stapfte entschlossen zu ihnen. »Habt ihr nichts Besseres zu tun, als nach dem Weltuntergang ein armes Tier zu quälen?«, donnerte er.
    »Er hat ihn umgebracht!«, zeterte der Geistliche in seinem dunklen Kaftan und dem verrutschten Turban. »Er hat ihn unter sich begraben!«
    Als Khalil erkannte, wer da wohl eher versehentlich unter den Elefanten geraten war, huschte trotz des schrecklichen Unfalls ein flüchtiges Lächeln über seine unter dem Bart verborgenen Lippen.
    Der Zirkuselefant thronte mit seinem breiten grauen, faltigen Hintern direkt auf dem Höchsten der Höchsten, dem geistlichen Führer und Machthaber, der ihnen mit der Ermordung gedroht hatte - dem Rahbar. Welche Ironie des Schicksals!
    Khalil scheuchte die Soldaten beiseite, griff sanft aber nachdrücklich nach dem Rüssel des Tieres, und als es die Vorderbeine wieder zu Boden setzte, tippte er mit zwei Fingern fest gegen das Vorderbein und forderte mit dem üblichen Kommando »up«, aufzustehen. Der Elefant gehorchte, erhob sich - und stob im nächsten Moment erschreckt davon, als plötzlich und unerwartet eine zweite Druckwelle das betongegossene Zelt traf.
    Das Dach im Nordosten brach auf und ließ den Orkan herein, schleuderte Menschen und Material wild durcheinander und fegte sie gegen Decke und Wände der Südwestseite.
    Khalil rannte zu Elinja, als auch dort die Decke in großen Stücken niederkrachte und sie beide unter Trümmerteilen begrub.
    Der Gewichtheber spürte die Knochen in seinem Leib knacken. Der Brustkorb sackte einen Fingerbreit nach innen. Rippenenden bohrten sich in sein Fleisch, seine Lunge, während der herabgefallene Stahlträger über ihm zu liegen kam. Fast wie in einer seiner Shows, als er sich Bretter über den Oberkörper hatte legen lassen und Lastwagen langsam darüber gefahren waren. Doch er war keine Zwanzig mehr, keine Vierzig oder Sechzig. Er war gealtert und seine Knochen mit ihm.
    Als er jedoch Elinjas schmerzvolles Stöhnen neben sich hörte und sie nach einem mühsamen Kopfdrehen zwischen Bruchstücken eingeklemmt

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