289 - Circus des Schreckens
schon öffnete, klopfte es. Die Tür des Wohnwagens wurde aufgestoßen und die Köpfe von Aruula und Xij erschienen im Licht der flackernden Öllampe. Trotz des Konfettis im Haar und ein paar Luftschlangenresten auf ihrer Kleidung sah Matt sofort, dass zumindest der Barbarin unwohl zumute war. Auch im Blick des drahtigen Blondschopfs meinte er etwas wie Erleichterung lesen zu können, als er über die Freunde im Inneren streifte.
»Kommt rein, kommt rein! Esst! Trinkt! Lasst es euch gut gehen, meine Gäste!«, rief Khalil Vahidi überschwänglich und breitete einladend die Arme über der Tafel aus.
»Ihr schaut drein, als hättet ihr euch den Magen an süßem Zeug verdorben«, meinte Rulfan, der die Stimmungslage wohl ebenfalls erfasst hatte, aber viel gelassener nahm.
Khalil wirkte dagegen schlagartig besorgt, sprang auf und kam den noch auf den kleinen Trittstufen Stehenden entgegen. »Fühlt ihr euch unwohl? Krank? Habt ihr euch verletzt? Atembeschwerden?«
Doch Xij winkte harsch ab und wandte den Kopf zur Seite, als der Direktor sich erdreistete, mit der Hand nach ihrem Mund zu fassen, um ihn zu öffnen und hineinzusehen. »Alles bestens«, knurrte sie, drückte sich mit Aruula im Schlepptau an Alastar und Rulfan vorbei, um sich auf dem freien Platz der Bank niederzulassen. Matt saß mit Khalil Vahidi an der Kopfseite, zog die Brauen leicht zusammen und schenkte den beiden einen zur Zurückhaltung mahnenden Blick, während der Direktor wieder Platz nahm und ansetzte, wo er aufgehört hatte.
»Die Welt war am Ende. Sie hatte den Untergang verdient. Menschlicher Abschaum überall, der von den Straßen und Gassen gefegt werden musste, um Raum für eine neue Generation zu schaffen. Der Mensch ist das, in was er sich kleidet. Auch die Helden in Mythen und Legenden tragen Kostüme. Unsere Masken vertreiben das Böse, halten es fern. Unsere Vorfahren gaben ihre Identität auf, um bessere Menschen zu sein… nein, besser noch als der Mensch.«
»Übermenschen wollten schon viele erschaffen und sind dabei allesamt auf die Schnauze gefallen«, kommentierte Xij trocken, während sie die Speisen am Tisch genauestens in Augenschein nahm, aber nichts anrührte.
»Keinen Hunger? Ist euch übel?«, fragte der Direktor erneut, nachdem er ihren Blick bemerkt hatte.
»Ich steh einfach mehr auf Pökelfleisch aus der Dose«, antwortete Xij erneut giftiger als nötig.
»Es wird sowieso langsam Zeit für ein wenig Schlaf«, schaltete Matt sich ein, bevor die Spannungen zu offener Verstimmung bei ihrem Gastgeber wurden. Der Rest der Mannschaft willigte ohne Diskussion ein. Selbst Rulfan schien mittlerweile die Lust am Essen verloren zu haben.
»Bei dem hat sich doch 'ne Made durchs Hirn gefressen«, raunte Xij, während die Gruppe über den mit spärlich gesetzten Fackeln beleuchteten Vorplatz zu den Zelten ging, die man für sie aufgestellt hatte.
»Es ist nicht gerade die naheliegendste Überlebensstrategie, aber sie scheint zu funktionieren«, erwiderte Matt, doch mit jedem Schritt durch die Zirkusstadt wurde ihm mulmiger zumute. Die wenigen Menschen, die noch in kleinen Grüppchen zusammenstanden und lachten, wirkten im Feuerschein wie entlaufene Gestalten aus einer Geisterbahn, die Gesichter fratzenhaft in ihrer ewigen Maskerade, und sein Bauchgefühl schrie ihm die Worte geradezu entgegen, bis er es aussprach: »Wir sollten morgen in aller Frühe aufbrechen.«
Wie zu erwarten, war Alastar der Erste gewesen, der dem Vorschlag zugestimmt hatte. Als Matt nach ein paar schlaflosen Stunden, in denen er sich auf dem kargen Lager hin und her gewälzt hatte, aufstand und nach den anderen sah, fand er den Schlafplatz des Exekutors leer. Und für einen flüchtigen Moment fürchtete er, dass sich der undurchsichtige Gesandte der Reenschas alleine mit dem Luftschiff aus dem Staub gemacht hatte. Doch als er den Blick nach Osten wandte, sah er den Zeppelin als großen dunklen Schatten vor dem graumattierten Himmel schweben.
»Wo treibst du dich rum, Kerl? Steckst du wieder deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen?«, murmelte Matt, schloss seinen Gürtel und machte sich auf den Weg, das verlorene Schaf einzusammeln.
Einmal mehr nahm er wahr, wie still es in dieser Gegend war. Kein Grillenzirpen, kein Käuzchen, kein Fauchen, Grunzen oder Rascheln im Unterholz - ja nicht mal Gequake mitten im Sumpf. Das Knistern der Fackeln klang dadurch geradezu überlaut in seinen Ohren. Als er so über die jetzt gänzlich verwaisten
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