289 - Circus des Schreckens
Wagen wanderte, den Platz überquerte und sich dem Hauptzelt näherte, bemerkte Matt die Käfige. Unglaublich: Am Tag waren selbst die Tiere geschminkt gewesen!
Matthew näherte sich einem Gehege, aus dem ihm zwei kleine im Mondlicht schimmernde Knopfaugen entgegen blickten. Eine Gestalt saß aufrecht darin - ein Bär, den er schon bei der Begrüßungsparade gesehen hatte. Da hatte er eine buschige Halskrause getragen, ein Kleidchen angehabt und eine bärtige Maske, die sein halbes Gesicht eingenommen hatte.
Das Kleid trug er noch immer, so viel konnte Matt erkennen. Und als sich die Schnauze an die Gitterstäbe presste und schnüffelte, sah er sein wahres Gesicht. Felllose Kiefer glänzten nass im fahlen Licht. Der dicke Hals war nackt und wie von handgroßen Schuppen überwuchert, die sich rhythmisch bewegten.
Eine Mutation? , schoss es dem Mann aus der Vergangenheit durch den Kopf. Oder Tierquälerei? Genexperimente? Mit einem Gefühl von Mitleid und Ekel gleichermaßen wandte Matt den Kopf, kniff einen Moment die Augen zusammen und schlich schließlich weiter durch die Nacht, um Alastar zu suchen.
Zwischen den Wohnwagen auf der Seeseite angekommen, sah er einen Schatten dahinter entlanghuschen. Alastar , schoss es ihm durch den Kopf. Er folgte ihm in geducktem Laufschritt.
Die Gestalt steuerte von den Wagen weg in Richtung Norden, zum Seeufer hin. Matt hatte Mühe zu folgen, so geschickt und zielstrebig setzte sie die Schritte in der Dunkelheit. Der Boden wurde matschiger, hier und da ragte ein dünner, abgestorbener Baumstamm empor. Vergilbtes Gras reckte sich in Büscheln auf den Inseln festerer Erde in die Höhe.
Dann kam das Wasser in Sicht. Ein gigantischer Spiegel inmitten der kärglichen Landschaft, glitzernd wie aus Kristall. Matt war von dem Anblick für einen Augenblick so eingenommen, dass er die Spur des Schattens verlor.
Ein Gluckern war zu hören, Wasserspritzen, aufsteigende Blasen. Matt ging näher an die Wassergrenze heran, an der die sumpfige Erde fließend in den See überging. Er setzte einen weiteren Schritt nach vorn, den Stiefel schon im Wasser. Sein Blick wanderte suchend über die schemenhaft erkennbare Landschaft, glitt über die glitzernde Oberfläche - und blieb im nächsten Moment starr an etwas haften, das dicht vor ihm unter der Wasseroberfläche lag.
Ein jäher Schrecken fuhr ihm durch alle Glieder. Als er es erkannte.
***
8. Februar 2022. Gedenkfeier.
Elinja Vahidi erhob sich, als Baran das Zeichen gab und der Fanfarenmeister in sein Instrument blies. Die gut hundert Zuhörer kauerten in Mäntel und Decken gehüllt im wiederaufgebauten Rund der Manege, während ihr Atem in kleinen weißlichen Wolken hinauf an die Zeltdecke schwebte.
Zehn Jahre war es her, dass der Komet die Erde getroffen hatte. Zehn Jahre am Rande der Existenz. Zehn Jahre, in denen die Welt wie im Schock mehr und mehr erstarrt war. Düsternis Tag und Nacht. Eisige Kälte, die zu keiner Jahreszeit weichen wollte. Und zehn Jahre war es jetzt her, dass Khalil Oghab für sie gestorben war. Zumindest empfand sie es so.
Er hatte den letzten Rest Kraft dafür verwendet, ihr Leben zu retten, statt an seinem festzuhalten. Doch das Versprechen, das sie ihm gegeben hatte - aus freien Stücken, nicht aus einem Schuldbewusstsein heraus! - verlieh ihr neue Energie. Seine Idee für einen sicheren Hort unter einer Zirkuskuppel war die richtige gewesen. Er hatte sie längst überzeugt gehabt. Deshalb stand sie jetzt hier als Anführerin und auch Zirkusdirektorin. Für die Sache und für Khalil.
»Meine Freunde, meine Brüder und Schwestern, wir haben uns heute hier versammelt, um dem Mann zu gedenken, der mit seiner Leidenschaft und Liebe für ein kleines - nein, für ein großes Wunder gesorgt hat: Khalil Oghab. Er hat den Grundstein für unser Überleben gelegt, sich gegen die elementaren Gewalten aufgelehnt und auch keine Scheu gezeigt, seinen weltlichen und geistlichen Widersachern die Stirn zu bieten. Sein Traum zu verwirklichen ist das Erbe, das er uns hinterlassen hat. Und jeder Einzelne von euch sollte sich verpflichtet fühlen, diesem Ruf mit Inbrunst nachzukommen. Denn ohne ihn würdet ihr hier und heute keinen Ruf mehr hören.«
Elinjas Stimme klang in ihren eigenen Ohren hart und klirrend. Sie rieb die in alte Lumpen gewickelten Hände fest gegeneinander. Die Holzausbeute in den letzten Tagen war mehr als dürftig gewesen. Daher sparten sie das Holz für die wirklich frostigen Tage - wenn einem der
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