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2894 - Niemand stribt für sich allein

2894 - Niemand stribt für sich allein

Titel: 2894 - Niemand stribt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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hielten. Shubert fühlte sich vom DOC alleingelassen. Mit dieser Begründung versuchte er, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Doch die Selbstvorwürfe schwanden nicht. Es blieb dabei, dass Levitt ihm auf der Nase herumtanzte.
    Der Kahlköpfige musterte den Direktor forschend. Levitt grinste breit, hob den rechten Arm in Gesichtshöhe und wedelte mit der Hand. »Hallo, Direktor!«, rief er fröhlich. »Sind wir geistig weggetreten, oder sind wir noch da?«
    »Was, zum Teufel, wollen Sie?«, knurrte Shubert. »Sie wissen doch verdammt genau, dass ich zu meiner Tochter keinen Kontakt mehr habe.«
    »Eben drum!« Levitt strahlte regelrecht. »Jetzt, in dieser Minute, erhalten Sie Gelegenheit, wieder mit ihr Kontakt aufzunehmen, sich mit ihr zu versöhnen. Öffnen Sie einfach George Washingtons E-Mail. Tun Sie es in Deanas Interesse.« Levitts Miene wurde steinhart, und seine graublauen Augen schienen sich in Eis zu verwandeln, als er den Direktor anherrschte: »Öffnen Sie den verdammten Video-Clip, oder Ihre Tochter stirbt!«
    ***
    »Mein Name ist Deana Shubert. Ich bin einundzwanzig Jahre alt und studiere Rechtswissenschaften an der New York University. Meine Eltern sind der Gefängnisdirektor Matthew Vernon Shubert und seine Ehefrau Elaine Shubert. Ich bin ihr einziges Kind. Ich …«
    Shubert klickte die Pausentaste an, und die Videoaufnahme seiner Tochter gefror zu einem unscharfen Porträtfoto. Er saß wie vom Donner gerührt. Ganz eindeutig war die Videobotschaft an ihn gerichtet. Aber Deana sprach ihn nicht direkt an. Ja, sie vermied es ganz bewusst, ihn anzusprechen. Er verspürte einen Stich, der ihn mitten ins Herz traf. Sie wollte ihn nicht »Dad« oder »Vater« nennen müssen. Das war der Grund. Und war es ein Wunder?
    Nein, es war seine eigene Schuld, wenn er ehrlich war. Er hatte kaum richtig mitbekommen, wie Deana aufgewachsen war, er hatte alle wichtigen Entscheidungen Elaine überlassen. Natürlich hatte er auch Elaine vernachlässigt, doch sie hatte wenigstens noch verstanden, dass sein Beruf ihm zu viel abverlangte. Verdammt, von einem Mädchen, das zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal volljährig gewesen war, konnte er so viel Verständnis nicht erwarten. Heute wusste er, dass er mehr Zeit mit Deana hätte verbringen müssen. ›Du kennst deine Mörder, Totschläger und Vergewaltiger besser als deine eigene Tochter‹, hatte Elaine ihm einmal im Streit vorgeworfen. Heute wusste er, dass sie recht gehabt hatte.
    Gut, er hatte sie wiedererkannt. Beim ruckelnden Anlaufen des Videoclips und der ersten verschwommenen Einstellung hatte er sofort gewusst, dass es Deana war. Immerhin weißt du noch, wie deine Tochter aussieht. Er atmete tief durch und bemühte sich, äußerlich unbewegt zu bleiben.
    Aber Levitt war ein gerissener Hund, einer, der eine Antenne für die Schwächen anderer Leute hatte. Dem verdammten Kerl konnte man wahrscheinlich gar nichts vormachen.
    »Wie sieht’s aus?«, erkundigte er sich lauernd. »Haben wir den ersten Schock überwunden?«
    »Ja«, antwortete Shubert widerwillig.
    Levitt lachte glucksend. »Da fallen uns alle Schlechtigkeiten wieder ein, stimmt’s?« Seine Heiterkeit schwand. »Zur Sache jetzt. Wir sehen uns den Rest des Videos an, und dann löschen wir es. Hier wird keine Kopie für das FBI gemacht. Verstanden?«
    »Ja«, sagte der Gefängnisdirektor erneut, und er hasste sich dafür. Doch er wusste, dass er sich aus eigener Kraft nicht aus dem Schlamassel herausziehen konnte, in den er durch eigenes Verschulden geraten war. Die Erwähnung des FBI war wie ein Stichwort, das ihm durch den Kopf zuckte. Vielleicht war das seine Rettung. Vielleicht war es der Strohhalm, an den er sich klammern konnte. Er brauchte nur zum Telefon zu greifen, sobald er allein war.
    »Los, weiter!«, riss ihn Levitts Stimme barsch in die Wirklichkeit zurück. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, Mister Shubert.« Es klang respektlos, wenn der Kahlköpfige den Direktor nicht mit dessen Dienstrang ansprach.
    Shubert gehorchte und klickte die Schaltfläche für Wiedergabe an.
    Deanas Mund, ihre Augen und die Gesichtsmuskeln erwachten zu neuem Leben.
    »Ich habe seit zehn Monaten keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern, und ich bin froh, dass es so ist. Daran wird auch der Umstand nichts ändern, dass ich entführt worden bin. Ich werde hier gezwungen, das zu sagen, was mir aufgetragen wird. Wenn ich frei entscheiden könnte, würde ich mit meinen Eltern keinen Kontakt aufnehmen.

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