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29 - Im Lande des Mahdi III

29 - Im Lande des Mahdi III

Titel: 29 - Im Lande des Mahdi III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auch!“
    „Nein; ich kann es nicht, und kein andrer Mensch kann es außer dir. Wer hat dir die Macht dazu gegeben?“
    „Die Liebe. Habe ich dir nicht gesagt, daß die Liebe die Mutter der Erlösung ist? Dein Kismet ist ein Tyrann, vor dem du wie ein Wurm, den es jederzeit zertreten kann, im Staube kriechst; er lebt von dem Mark deiner Knochen und mästet sich an dem Willen deiner Seele; er macht dich taub, daß du das Klirren deiner Ketten nicht vernimmst, und macht dich blind, daß du die Herrlichkeit nicht erblickst. Er schreibt seine Gesetze mit dem Blut deiner Adern und erteilt dir seine Befehle durch die Stimme der Leidenschaften, welche dich gleich dem Gift des Haschisch verzehren, während sie dich zu erquicken scheinen. Dir ist jeder, wenn auch noch so leise Entschluß verboten; du darfst keinen Wunsch und keine Hoffnung haben, denn das Kismet hat jeden Hauch, der eines deiner Haare bewegt, schon im vorher bestimmt. Die Gewalt ist dieses Tyrannen Zepter, und der Islam ist die Lehre, die er predigt. Ist doch eure heilige Kamara (Halbmond) nicht auf den Mond zurückzuführen, sondern auf den krummen, blutigen Säbel Mohammeds, den er, um seine Scharen anzufeuern, während der Schlacht an seine Lanze steckte! Mit dem Worte Kismet hat er und haben seine Nachfolger ihre Streiter in den Tod getrieben; an dem wasserlosen Brunnen des Kismet hat die Liebe unter euch verschmachten und verdursten müssen, und während ihr euch für die bevorzugten Kinder Allahs haltet, seid ihr die Leibeigenen des Hasses, der Rache und der Unversöhnlichkeit geworden. So hat euch das Kismet um alle Freiheit, um alle Energie gebracht. Ihr müßt euch ohne Kraft und Licht durch euer Leben schleppen, wie das finstre, ungerechte und unerbittliche Fatum es euch vorgeschrieben hat, und wenn ihr dann einen Christen kennenlernt, dem der Gott der Liebe, der Weisheit und Gerechtigkeit die Fähigkeit verliehen hat, bestimmend, schaffend und gestaltend nicht nur in den Lauf seines eigenen Lebens, sondern auch in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen, so ruft ihr ein Maschallah über das andere aus und könnt es nicht begreifen, daß er mit leichter Mühe etwas fertigbringt, was bei euch in den Bereich der Unmöglichkeit gehört. Das Kismet hat Schir Samurek befohlen, uns unsere Pferde zu stehlen; ich aber verlache dies Kismet und hole sie mir wieder. Dieses, euer Kismet hat ihm geboten, euch den Bären zu überantworten, und ihr wäret ihnen verfallen gewesen; ich aber bin ein freier Mann und habe die Vorbestimmung zuschanden gemacht, indem ich euch errettete. So werde ich auch, ohne euer Kismet um Erlaubnis zu fragen, auf Schir Samurek wirken, und ich bin überzeugt, daß das nicht ohne Folgen für sein ganzes späteres Leben sein wird.“
    Ich hatte gemäß der Denk- und Anschauungsweise Ssali Ben Aqils gesprochen, und er war meinen Worten mit Aufmerksamkeit gefolgt, ohne mich einmal zu unterbrechen. Aus seinen Augen blickte mir ein heißer Wunsch nach Verständnis entgegen. Als ich geendet hatte, hielt er mir die Hand entgegen und sagte:
    „Ich danke dir, Effendi! Solange ich nur denken kann, hat meine Seele nach Licht gestrebt und doch nur Schatten oder Dämmerung gefunden. Ich kann deine Worte nicht so schnell begreifen, wie ich möchte; aber sie werden in mir haften bleiben, und ich hoffe, daß sie einen Funken enthalten, der später zur Flamme wird. Ich bin ein Prediger des Islam und dennoch bereit gewesen, die Blutrache auszuführen. Du bist kein Lehrer deines Glaubens und hast doch deinen Feinden Gutes erwiesen. Das ist mir eine Aufforderung zum Vergleich. Ich werde darüber nachdenken und dann tun, was Allah wohlgefällt.“
    „Woher wirst du wissen, was ihm wohlgefällt?“
    „Die Stimme meines Herzens wird es mir sagen.“
    „Ist das dieselbe Stimme, welche dir mitgeteilt hat, daß der Mahdi bald erscheinen wird?“
    „Ja.“
    „So prüfe dein Herz genauer als bisher, ehe du auf seine Stimme hörst! Ein alter Lehrer des Christentums sagt: ‚Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott!‘ Laß dein Herz im Schoß der ewigen Liebe und Wahrhaftigkeit ruhen, so brauchst du keinen Mahdi, den du erst mühevoll entdecken mußt.“
    „Auch diese Worte werde ich mir überlegen, Effendi. Wie deine Barmherzigkeit auf mich eingewirkt hat, das wirst du wohl bemerken. Gestern hast du mich als Eiferer für den Islam kennengelernt, und heut höre ich nicht nur deine Reden an, ohne mich darüber zu erzürnen, sondern ich

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