29 - Im Lande des Mahdi III
habt ihr denn, den Scheik gefangenzunehmen?“
„Wir wollen ihn dadurch zwingen, das Geld herauszugeben, welches dem Wirt von Khoi gehört.“
„Werdet ihr ihn dann gefangenhalten und nach Khoi schaffen, um ihn dort des Brandes wegen bestrafen zu lassen?“
„Nein“, antwortete ich jetzt an Halefs Stelle. „Ich habe dir schon gesagt, daß ich kein Polizist bin. Sobald ich meinen Zweck erreicht habe, lasse ich ihn frei.“
„Frei willst du ihn lassen, Effendi? Diesen Räuber und Mörder, der uns von den Bären zerreißen lassen wollte? Der euch die Pferde gestohlen hat und, wenn ihr ihm in die Hände gefallen wäret, euch auch den Bären vorgeworfen haben würde? Denke doch, was das zu bedeuten hätte! So eine Nachsicht und Milde könntet ihr weder vor Allah noch vor den Menschen verantworten, und alle Sünden, welche dieser Schir Samurek in seinem Leben noch begehen würde, müßten auf euer Gewissen fallen! Kannst du dich wirklich entschließen, eine solche Last auf dich zu nehmen, Emir?“
„Ja.“
„So begreife ich dich nicht!“
„Oh, ich habe soeben eine ganz gleich große Last auf mich genommen!“
„Wann und wie?“
„Vorhin, als ich euch verzieh. Schir Samurek ist ein Räuber und Mörder. Was seid ihr gewesen? Er wollte mich töten, falls ich in seine Hände fiele. Ihr habt uns nach dem Leben getrachtet. Euch haben wir zur Freiheit verholfen. Ihm wollen wir sie auch wiedergeben. Steht da nicht beides gleich? Ja, für euch haben wir mehr, viel mehr getan, als wir für ihn tun wollen, denn wir haben, obgleich ihr unsere Todfeinde wart, unser Leben gewagt, um euch von den Bären zu befreien; für ihn aber werden wir nichts, gar nichts wagen.“
„Aber die Kelhur sind unsere Feinde, mit denen wir in Blutrache stehen!“
„Was geht das mich an? Nanntet ihr euch nicht auch unsere Todfeinde? Und doch haben wir euch vergeben! Du hast erst vorhin so schön und mit solcher Überzeugung von der Liebe gesprochen, und jetzt brütest du Rache gegen die Kelhur. Meinst du, daß dies Liebe sei, die richtige Liebe, die Gott von uns verlangt? Ist es etwa ein Verdienst, diejenigen, welche dich lieben, wieder zu lieben? Das ist nicht Liebe, sondern Selbstsucht von dir. Nur wer gelernt hat, zu verzeihen, kann richtig und kann wirklich lieben; die Liebe aber, die neben sich die Rache kennt und duldet, verdient den Namen nicht, den du ihr gibst. Du bist noch neu und unerfahren in der wahren Liebe. Bitte Allah täglich, daß du sie besser kennenlernst. Ich habe sie dir gezeigt. Nun werbe um sie fort und immerfort, damit sie deine Freundin werde. Ich sage dir, es gibt kein Glück und keine Seligkeit ohne sie, im Leben und im Sterben. Doch jetzt dürfen wir uns nicht länger mit Worten, sondern müssen uns mit Taten beschäftigen. Kannst du dich auf die Worte besinnen, welche Schir Samurek zu dir sagte, als du behauptetest, daß ich euch retten würde, obgleich ihr meine Todfeinde seid?“
„Welche Worte meinst du?“
„Bei Allah und bei meiner Seele, wenn er es dennoch täte, ich würde selbst auch am Islam irre werden und meine Augen auf den Gott richten, der am Kreuz gestorben sein soll, um die Sünder zu erretten und die Verlorenen wiederzufinden!“
„Maschallah – Wunder Gottes! Du kennst seine Worte so genau, als ob du dabei gewesen wärest, als er sie sprach! Bist du allwissend, Effendi?“
„Nein. Weißt du auch noch, was er von dem Kreuz und von diesen Bären sagte?“
„Ja.“
„So hilf uns, dafür zu sorgen, daß seine Worte in Erfüllung gehen! Hat euch die Liebe, welche in meinem Herzen wohnt, also das Kreuz, welches das Zeichen meines Glaubens ist, Errettung vom Tod gebracht, so mag es auch den Kelhur die Erkenntnis bringen, daß der Haß und die Rache immer wieder nur Haß und Rache erzeugt, während die Liebe die Mutter der Erlösung und des Glückes ist.“
„Wie sollen wir dazu mithelfen, Effendi?“
„Wenn morgen früh Scheik Samurek den ersten Blick zur Musallah hebt, soll er die Erfüllung dessen sehen, was er im Hohn zur Bedingung machte: der Bär soll mit dem Kreuz in den Pranken hier unter der Türe stehen.“
Seine dunkeln Augen bohrten sich mit forschendem Blick und doch wie staunend in die meinigen, indem er ausrief:
„Welch ein Gedanke! Welch eine Idee! Effendi, ich beginne zu ahnen, wo die Quelle deiner Erfolge sprudelt. Du bist nicht ein Sklave des Kismet, sondern hast dich von ihm freigemacht und leitest es nach deinem Willen!“
„Das kannst du
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