29 - Im Lande des Mahdi III
Die Peitsche noch immer in der Hand, ging er hinaus, schritt grad auf den Fremden zu, stellte sich nahe vor ihn hin, sah ihm ins Gesicht und sagte:
„Hier bin ich, der Hadschi mit dem langen Namen. Wenn du Rechenschaft fordern willst, so bin ich bereit, sie dir zu geben, aber nur, in meiner Weise, die wahrscheinlich nicht die deinige ist. Du hast sie aber schon kennengelernt!“
Der ‚Liebling Allahs‘ war ein junger Mann von vielleicht dreißig Jahren mit einem langen Vollbart und schönen, asketisch strengen Gesichtszügen, wie ich jetzt durch ein Loch der Flechtwand sah, weil er im Schein des Feuers stand; seine kleinen, etwas schiefblickenden Augen waren aber geeignet, diese Schönheit nicht zu erhöhen, sondern herabzumindern. Von hoher, stolzer Gestalt, ragte er um mehr als Kopfeslänge über den kleinen Hadschi hinaus. Die Farbe seines Turbans zeigte allerdings, daß er sich zu den Nachkommen des Propheten zählte. In seinem Gürtel steckten Messer und Pistolen, doch weil er Halefs Hiebe so ohne jede Gegenwehr hingenommen hatte, glaubte ich, daß dieses kriegerische Aussehen nicht ganz mit seinen innern Eigenschaften harmoniere. Er sah, als Halef ausgesprochen hatte, mit finsteren Augen auf ihn nieder und antwortete:
„Ich sehe eine Peitsche in deiner Hand. Bist du es etwa, der es gewagt hat, mich zu schlagen?“
„Ja, geschlagen habe ich dich, aber gewagt war nichts, gar nichts dabei.“
„Schweig, Hund! Willst du mich abermals beleidigen?“
Da hob der Kleine die Peitsche drohend empor und sprach:
„Sag du noch ein einziges Mal das Wort Hund zu mir, oder ein anderes, welches mir nicht gefällt, so ziehe ich dir diese Riemen des Nilpferdes über das Gesicht, daß du dich zehn Jahre lang vor keinem Menschen sehen lassen kannst! Wer bist du denn, daß du dich unterfängst, in dieser Weise mit mir zu sprechen? Wie heißt du, und wie lautet der Name deines Vaters, deiner beiden Großväter und der vier Väter dieser Vatersväter?“
„Das sollst du gleich hören. Wisse, ich bin Ssali Ben Aqil, der berühmte Wanderprediger des wahren Glaubens, der uns eine Auferstehung und Wiederkehr des Propheten verheißt.“
„Berühmt nennst du dich?“ lächelte Halef. „Ich bin in den Ländern vieler Menschen gewesen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, aber den Namen Ssali Ben Aqil, so fromm und klug er klingt, habe ich noch nie gehört. Ich aber bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!“
Als der Wanderprediger diesen Namen hörte, fuhr er einen Schritt zurück, machte eine Gebärde größter Überraschung und rief aus:
„Hadschi Halef Omar! Gehörst du jetzt zum Stamm der Haddedihn?“
„Ja.“
„So bist du der kleine Kerl, der mit jenem Ungläubigen, jenem Christen geritten ist, welcher im ‚Tal der Stufen‘ die vereinten feindlichen Stämme besiegte, die den Stamm der Haddedihn verderben wollten?“
„Ja.“
„Weißt du, wo dieser Christ sich jetzt befindet?“
„Ja.“
„Wo?“
„Dort hinter der Scheidewand.“
Da trat Ssali Ben Aqil noch einen Schritt weiter zurück, warf vor Erstaunen die Arme empor – fast hätte ich behaupten mögen, daß dieses Erstaunen ein freudiges sei – und fragte:
„Wie wird er genannt?“
„Er ist der berühmte und unbesiegbare Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi.“
„Ssahi, ssahi – richtig, richtig; genau so habe ich diesen Namen gehört!“
Ich sah, daß er weitersprechen wollte, aber er verschluckte das, was ihm auf den Lippen lag, drehte sich um und ging einige Male nachdenklich in der Stube hin und her. Es war jedenfalls ein wichtiger Gedanke, ein Entschluß, der ihn bewegte und mit dem er auch bald fertig war, denn er wandte sich Halef wieder zu und sagte in ganz anderer Weise, als er bis jetzt gesprochen hatte: „Höre, Hadschi Halef Omar, auf meine Worte! Du hast mich geschlagen; das ist eine Beleidigung, welche nur mit Tod gesühnt werden kann; aber ich will sie dir verzeihen, weil ich vorher geschlagen habe, freilich ohne dich zu treffen. Ich habe von deinen und des christlichen Emirs Taten so viel gehört, und ich bewundere sie so sehr, daß es mir eine Wonne des Paradieses sein würde, wenn ich den Emir jetzt sehen und mit ihm sprechen könnte. Ich bitte dich, zu ihm zu gehen und ihm das zu sagen. Willst du mir diesen Wunsch meines Herzens erfüllen?“
Seine Augen ruhten bei dieser Frage stechend und gespannt auf dem Gesicht des Kleinen. Dieser Prediger des Islam gefiel mir nicht;
Weitere Kostenlose Bücher