294 - Der Keller
Leben Alkohol gekostet hatte, stieg ihm selbst die geringe Menge sofort in den Kopf, und ihm wurde ganz komisch zumute.
Vor Schreck verschüttete er den Inhalt des Pokals.
Grauberg reagierte überhaupt nicht ungehalten. Er rief nach dem Diener, der Jurgis hergebracht und offenbar vor der Tür gewartet hatte, und trug ihm auf, die Pfütze zu beseitigen und Jurgis das Glas neu zu füllen.
Jurgis glaubte einen verächtlichen Blick des Angestellten aufzufangen, wagte aber nichts zu sagen.
Im Laufe der nächsten Stunden lauschte er gebannt den Erzählungen der drei Besucher, die aus Winkeln der Erde kamen, von denen Jurgis bislang noch nicht einmal gehört hatte. Ungefährlich schienen ihre Reisen nicht zu verlaufen, denn mehr als einmal waren sie offenbar nur mit großem Glück mit dem Leben davongekommen - und mit Dingen, die sie heute Alvarus Grauberg ablieferten.
»Nun bist du wohl rechtschaffen müde«, wandte sich der Magister irgendwann an Jurgis. »Fühlst du dich überhaupt noch imstande, mit mir in die Kammer zu gehen, in der die Waren abgestellt wurden?«
Jurgis beteuerte leidenschaftlich, dass er noch gar nicht müde sei und natürlich sehen wollte, was sie an Schätzen mitgebracht hatten.
Alvarus Grauberg schien zufrieden. Er entschuldigte sich von seinen Gästen, die bei schwerem Wein und Feuer zurückblieben, und führte Jurgis höchstpersönlich in einen nahen Raum.
***
»Was ist das?«
»Hinterlassenschaften aus einer Zeit, die weder du noch ich erlebt haben - und ich bin immerhin schon siebenundfünfzig Winter alt.« Der Magister zeigte auf Holzkisten mit aufgehebelten Deckeln, auf Säcke und einfach nur lose Gegenstände, die hier abgestellt worden waren. »Überbleibsel einer Zeit, als Menschen noch wahre Kontrolle über ihren Lebensbereich ausübten. Eine Zeit, in der sie in der Lage waren, in einem Tag um die ganze Welt zu reisen…«
Jurgis trat näher an die merkwürdigen Sachen heran und berührte sie zaghaft.
Grauberg lächelte fast mitleidig. »Aber um die Sensation dahinter zu begreifen, weißt du noch zu wenig über die Vergangenheit. Wir verfügen längst nicht mehr über die Hochtechnik, die solches ermöglichte. Aber das hier… sind Beispiele von Dingen, wie sie damals, in jener Blütezeit der Menschheit, gebräuchlich waren und den Alltag erleichterten.«
»Hoch… tech… nik…«, wiederholte Jurgis ehrfürchtig. Aber er verstand nichts, gar nichts. »Was tut Ihr damit?«
»Verkaufen, eintauschen - gegen Wohlstand und ein Leben, wie du es mit mir genießen darfst, mein Kind.«
»Was tun die Käufer mit den Sachen?«
»Das bleibt jedem selbst überlassen. Aber ich pflege Verbindungen zu den unterschiedlichsten Klienten. Manche mögen sich damit begnügen, Technoerbe der Alten einfach nur in ihrem Besitz zu wissen. Andere versuchen durchaus, sie wieder in Gang zu setzen. Oder als Teil einer schon in ihrem Besitz befindlichen Maschine zu erwerben, das ihnen noch fehlt. Ich wurde schon zu Kunden eingeladen, denen es tatsächlich gelungen war, Geräte zum Laufen zu bringen, die seit Jahrhunderten stillstanden.«
»Was für… Geräte? Was können die?«
»Unterschiedlich. Ganz unterschiedlich. Einmal war ich zu einer Vorführung geladen, zu der ich eine Woche unterwegs war. Die Vorführung selbst dauerte eine Minute. Das Gerät warf Bilder an die Wand!«
»Bilder?«
»Man nennt es Projektor. Und dazu gibt es kleine Scheiben aus Plastik, auf denen Szenen festgehalten sind, die man mit starkem, gebündelten Licht vielfach vergrößert auf eine helle Fläche wirft, eine Wand etwa.«
»Hm. Das klingt nicht besonders aufregend.«
»Es würde auch dich beeindrucken, glaube mir«, sagte Grauberg schmunzelnd. »Aber es gibt natürlich auch nützlichere Geräte. Waffen etwa.«
»Waffen?«
»Um Leute totzuschießen. Oder in die Luft zu sprengen.« Er wies auf eine noch vernagelte Kiste, auf die ein Totenkopfsymbol gemalt war.
Jurgis kannte das Symbol nicht, dennoch flößte es ihm sofort Respekt ein. »Können wir gehen? Es macht mir Angst.«
Alvarus Grauberg lächelte warm. »So empfindsam. So zart besaitet…«
In dieser Nacht brachte er Jurgis persönlich zu Bett. Danach sah der Hermaphrodit seinen Gönner etliche Tage nicht wieder. Von den Bediensteten erfuhr er, dass der Herr überstürzt mit seinen drei Gästen abgereist sei, um Dringliches zu erledigen.
Während Graubergs Abwesenheit ruhte die geistige Ertüchtigung von Jurgis, und schon bald schlichen sich Trägheit
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