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296 - Totes Land

296 - Totes Land

Titel: 296 - Totes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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zumindest teilweise unter dem Ort lag.
    Tatsächlich kamen ihnen auf ihrem weiteren Weg vereinzelt Leute mit Entstellungen entgegen. Sie alle sahen stets verlegen zu Boden. Sie wirkten ängstlich.
    Am Ende des Ganges erreichten sie schließlich eine breite doppelflügelige Tür.
    »Da rein!«, befahl Akimow.
    Sie gehorchten. Die Wächter hingegen blieben zurück.
    Hinter der Tür lag eine Halle, die früher als Mensa oder Turnhalle gedient haben mochte. Nun schien es sich um den Konferenzraum des Rats der Liquidatoren zu handeln.
    Im Zentrum des Raums stand ein langer, leicht gebogener Tisch, an dem drei vermummte Männer saßen. Sie trugen Schutzanzüge und Gasmasken wie die Wächter, dennoch wirkte ihre Kleidung anders. Feierlicher. Erhabener. Matt konnte nicht bestimmen, was diesen Eindruck hervorrief, aber ein Seitenblick zu Rulfan verriet ihm, dass der Albino es ähnlich sah.
    Das also waren die Liquidatoren. Drei Männer - zumindest vermutete Matt das, auch wenn in den Anzügen, die jede Körperform vereinheitlichte, genauso gut Frauen stecken konnten -, die über ihr weiteres Schicksal bestimmten. Hinter ihnen standen ein summender Generator und ein Monitor.
    Matt und Rulfan wussten nicht, wie weit sie sich nähern durften, und blieben in respektvollem Abstand stehen.
    Der mittlere Vermummte winkte sie bis an den Tisch heran. Als sie diesen erreichten, erhob sich der Liquidator und singsangte: »Der Rat hat beschlossen, die Fremden der Reinigung zu unterziehen.« Eine Gänsehaut lief Matt über den Rücken. Unwillkürlich musste er an die brennende Katze denken. Er wollte etwas sagen, doch der Mann im Schutzanzug gebot ihm mit einer unwirschen Handbewegung zu schweigen.
    »Hören wir hierzu die Worte des Chronisten«, setzte er seine leiernde Ansprache fort. »Sie werden uns Weisheit und Erbauung schenken.«
    Matt entdeckte einen Vorhang an der linken Wand. Dieser geriet in Bewegung und ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge mit dicken Hautlappen statt Augenbrauen wieselte hervor. Offenbar lag dahinter ein weiterer Raum, in dem der Bursche auf seinen Auftritt gewartet hatte. Er eilte zu dem Bildschirm und schaltete ihn ein. Dann machte er sich an einem schmalen Kasten unterhalb des Monitors zu schaffen. Er schob eine bläulich schimmernde Kristalldisk in ein Laufwerk und betätigte eine Taste.
    Ein weißgraues Schneegestöber überzog den bisher schwarzen Schirm, dann verflüchtigte es sich und machte Platz für das Gesicht eines etwa sechzigjährigen Mannes.
    Eines Mannes ohne jegliche Deformation!
    »Mein Name ist Mikail Sacharov«, sagte er.
    Sacharov? Der Name kam Matt bekannt vor, er wusste aber nicht mehr warum. Sein hämmernder Schädel und das Brennen des Arms verhinderten allzu sortierte Gedanken.
    »Ist das der Vorvater, von dem Akimow gesprochen hat?«, raunte Rulfan ihm zu. »Der, der die Regeln der Reinigung aufgestellt hat?«
    Richtig! Das war es. Jetzt erinnerte er sich wieder.
    »Zunächst möchte ich mich bei meinen ukrainischen Landsleuten dafür entschuldigen, dass ich Englisch spreche«, fuhr der Mann in der Aufzeichnung fort. »Aber da Prypjats neue Einwohner aus aller Herren Länder stammen, hat man sich auf Englisch als gemeinsame Sprache geeinigt.«
    Als Matt den ursprünglichen Namen der Stadt hörte, drohten seine Knie unter ihm nachzugeben.
    »Ach du Scheiße!«, hauchte er. »Ich weiß, wo wir sind.«
    Und während er mit einem Ohr Mikail Sacharovs Videotagebuch zuhörte, versuchte er, seine chaotischen und panischen Gedanken unter Kontrolle zu bekommen.
    ***
    Die Geschichte der Prypten
    »Wir haben die Stadt vor ungefähr zwei Wochen bezogen«, sagte Sacharov. »Natürlich nicht die alten Gebäude. Die Strahlung wäre viel zu hoch, wenn wir uns ihr länger aussetzen müssten. Stattdessen hat man uns strahlensichere Bunker zur Verfügung gestellt, in denen wir die nächsten Monate verbringen werden. Ich muss gestehen, dass ich mir trotz meines Berufs die psychische Belastung geringer vorgestellt habe. Aber das Wissen um die Ereignisse, die sich vor fünfundzwanzig Jahren abgespielt haben, und das Gefühl, in einer Geisterstadt zu leben, beinahe selbst ein Geist zu sein, bedrückt mich sehr. Deshalb habe ich beschlossen, diese Aufzeichnungen zu führen. Vielleicht haben sie therapeutische Wirkung auf mich. Was für eine Hoffnung: Der Therapeut therapiert sich selbst!
    Die Ingenieure werden die technische Seite des Unternehmens detailgenau dokumentieren. Womöglich kann mein kleines

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