297 - Die Zeit läuft ab
nicht mehr in dem Erdloch gefangen hielt, in das man sie nach ihrer Ankunft hier am »Nabel der Welt« gesteckt hatte. Tagelang hatte sie auf dem Boden der Grube gekauert und gefleht, man möge sie doch bitte herauslassen. Sie wolle ja auch lieb sein und nicht weglaufen!
Aber Jenny-Mom und Pieroo hatten nur teilnahmslos zu ihr herabgeblickt, ihr ein paar Decken gegeben und zweimal am Tag etwas zu essen gebracht, damit sie nicht verhungerte oder fror. Kein Lächeln, kein liebes Wort war über ihre Lippen gekommen.
Ann erschienen alle Menschen hier als leere Hüllen, die unsinnigen Tätigkeiten nachgingen, als würden sie von einer fremden Macht dazu gezwungen. Wozu hatten sie diese große Halle erbaut? Und warum gruben sie in deren Mitte unermüdlich ein Loch in die Tiefe?
Ann zog die Beine, die sie von der Transportkiste hatte baumeln lassen, hoch und setzte sich in den Schneidersitz, während sie die Decke enger um ihre Schultern zog.
Wenigstens war es hier in der Halle wärmer als in dem Erdloch, aber eine Gefangene blieb sie trotzdem. Irgendjemand von den hier Arbeitenden hatte immer den Blick auf sie gerichtet. Wenn Pieroo und die anderen mit neuen Metallstreben zurückkamen oder Abraumschutt in Wannen und Karren aus der Halle schafften, sahen sie sie jedes Mal warnend an.
»Denk nich mal dran, aus der Siedlung abzuhauen«, hatte der bärtige Barbar geknurrt, als er sie mit seinen kräftigen Armen aus der Grube hob. »Jenny is wech, Mutter holen. Aber merk dir eins: Einer von uns behält dich immer im Auge. Benimm dich und du darfst frei rumlaufen. Machste Ärger…«, er hatte auf das Erdloch gedeutet, »… kommste da wieder rein!«
Ann hatte nur stumm genickt. Inzwischen kannte sie sich in der Siedlung der Steinjünger bestens aus, wusste, wo welche der hier zusammengetroffenen Parteien ihr Lager hatten und wo sie etwas zu essen bekam. Und auch wenn Pieroo ihr unheimlich war, so hatte sie sich doch entschieden, in dem Zelt zu schlafen, in dem er und ihre Mom wohnten. Solange sie sich an die Regeln hielt, drohte ihr keine Gefahr, das wusste sie.
Ann zog die Nase hoch und schaute zu dem beleuchteten Bohrturm hinüber. Zwei der hochgewachsenen Marsianer bedienten die Kontrolleinheit, während das Gestell an der Basis des Turms noch einmal verbreitert und verstärkt wurde Pieroo schlug gerade mit einem großer Hammer eine weitere Stützstrebe in die Erde. Er hatte sein Hemd ausgezogen. Vor Anstrengung lief ihm der Schweiß in Strömen über den stark behaarten Oberkörper.
Zwei weitere Arbeiter, Männer aus der Gruppe um Sir Leonard, schlugen Bolzen in die Metallplatten, die auf den Pfeilern aufgelegt eine neue Plattform ergaben.
Das beständige Rumoren des Bohrers untermalte das geschäftige Treiben. Ann hörte es schon gar nicht mehr. Das Geräusch war immer da, ob nun leise im Hintergrund oder - wie hier an seinem Ursprung - laut und kräftig.
Aber irgendwie klingt es gerade anders… oder nicht?
Ihr Verdacht bestätigte sich, als auf einmal Bewegung in die beiden Marsianer an den Kontrollen kam. Sie riefen sich etwas zu und sahen hektisch zu ihren Kollegen an den Führungsschienen der Bohrsäule hinüber.
Die Welle drehte durch! Sie mussten auf einen Hohlraum gestoßen sein, denn der Bohrkopf fand keinen Widerstand mehr.
Die beiden langen Kerle sahen sich lächelnd an. Anscheinend hatten sie auf diesen Moment nur gewartet. Mit ein paar schnellen Handgriffen drosselten sie den Bohrer, bis er anhielt, und wiesen die anderen Männer an, ein weiteres Stück anzumontieren.
Ann rutschte von der Transportkiste herunter, wobei sie die Decke von ihren Schultern gleiten ließ. Das war interessant! Sie hatte das Ansetzen einer Verlängerung bisher nur einmal beobachtet, aber sie war fasziniert davon gewesen, wie schnell die Männer das Teil montiert hatten.
Sie wollte sich gerade auf eine Sprosse der Leiter setzen, als sie rau von Lady Victoria zur Seite gestoßen wurde. Ann hatte die Ex-Queen gar nicht hereinkommen sehen.
»Weg da!«, herrschte die Frau sie an und kletterte zu den beiden Marsianern hinauf. »Was ist los, Gonzales? Schon wieder ein Bohrkopf?«
»Nein, nein, im Gegenteil!«, beruhigte sie der Kommandant. »Wir haben die Gesteinsschicht endlich durchbrochen und sind auf einen Hohlraum gestoßen. Wir müssen eine weitere Verlängerung montieren und abwarten, ob Gase aus dem Bohrloch entweichen. Wir wollen ja schließlich keine Explosion riskieren.«
Victoria nickte. »Okay. Und wie lange
Weitere Kostenlose Bücher