298 - Beim Ursprung
zum offenen Ofen. Höllisch heiß war es hier, doch seine bionetische Substanz verkraftete die Temperatur problemlos. »Für uns beide ist nun mal kein Platz auf diesem Planeten. Also: Adieu!« Damit warf er den Stein in den Ofen.
Es dauerte einige Sekunden, dann ertönte ein Splittern aus der gleißenden Öffnung. Für einen Moment glaubte Kroow einen mentalen Todesschrei zu hören. Dann nichts mehr.
Das Steinwesen war tot, sein zu Glut verflüssigter Körper löste sich bereits in Rauch auf.
»So viel dazu.« Kroow warf auch die Handschuhe ins Feuer und klatschte in die Hände. »Und nun ist Drax an der Reihe. Ich denke, für sein Ableben lasse ich mir mehr Zeit.«
***
An dem fürchterlichen Fangarm, der ihm aus dem Jackenärmel wuchs, zerrte der Kahlkopf sie aus der Gießerei. Es war sehr heiß gewesen dort, und Ann genoss die kühle Morgenluft.
Dass sie dazu in der Lage war, lag daran, dass sie wieder klarer denken und empfinden konnte. Bis eben noch hatte sie alles, was geschah, wie eine Außenstehende erlebt. Alles hatte gewirkt wie in Watte gepackt.
Jetzt aber schien es, als hätte sich der fremde Einfluss ein Stück weit von ihr zurückgezogen. Lag es daran, dass Crow sich freute und lachte wie jemand, dem eine Riesenlast von der Seele gefallen war? Aber hatte dieses Ding überhaupt eine Seele?
Wie auch immer - jetzt benahm er sich jedenfalls ganz anders als auf dem Herweg. Er strahlte über das ganze Gesicht und seine Augen leuchteten. Es war, als reichte dieses Leuchten bis in ihren eigenen Kopf hinein; ja, als würde sein stilles Lachen durch diesen ekelhaften Tentakel in ihr Gehirn fließen.
Und während sie die fremde Freude empfand - sie machte ihr Angst, irgendwie -, konnte Ann plötzlich klarer denken als zuvor, und ein verrückter und zugleich schöner Gedanke kam ihr: Jetzt, wo der Kahlkopf den Stein in den Ofen geworfen hatte - konnte Jenny-Mom sie da wieder lieb haben?
Sie lief neben Crow her zwischen den Schrotthaufen auf dem Gelände des alten Gehöfts hindurch zum großen Tor und dachte an den Augenblick vor dem Hochofen zurück: Der Kahlkopf hatte ihr befohlen, sich umzudrehen, und sie hatte gehorchen müssen. Aber an der großen Wasserwanne vor dem Ausguss hatte ein dunkles Blech gelehnt, und darin hatte sich alles Mögliche gespiegelt: die Decke, sie selbst, die gleißende Glut im Hochofen - und auch der Kahlkopf. So hatte sie gesehen, wie er den Stein aus einem Handschuh zog und in den Ofen warf.
Es musste das Steinding gewesen sein, das die Verrückten im Dorf alle nur Mutter nannten. Ann war ziemlich sicher, dass es genau dieser Stein gewesen war.
Und wenn er jetzt vernichtet war, dann konnte er doch die Leute im Dorf nicht länger krank machen im Kopf. Dann würden auch Jenny-Mom und Pieroo wieder normal sein, wenn sie ins Dorf zurückkehrten. Oder?
Das alles ging Ann durch den Kopf. Den ganzen Weg von dem Gehöft mit der Eisengießerei bis zum Dorf dachte sie daran und hoffte inständig, dass alle wieder gesund im Kopf waren, weil das blöde Steinding tot war.
Die Sonne stand schon über dem Horizont, als das Dorf in Sicht kam. Ann schaute zu dem Mann auf, von dem Jenny-Mom behauptet hatte, er würde sich »um sie kümmern«. Crow grinste noch immer in sich hinein, doch es war ein seltsam kaltes Grinsen, und als Ann es sah, begann sie zu frieren und die wilde, fremde Freude in ihrem Kopf erlosch. Der Gedanke aber, dass Mutter tot war, verbrannt im eisenschmelzenden Feuer, dieser Gedanke erlosch nicht. Sie war gespannt, was nun geschehen würde.
Aus allen Hütten traten die Dorfbewohner auf die Gassen, aus allen Gassen strömten sie auf den morgendlichen Dorfplatz. Ann erkannte Sir Leonard und diese zickige, eingebildete Frau, die alle nur »Lady Victoria« nannten.
Sie sah diesen dürren und hochgewachsenen Kerl vom Mars in der Menge, Gonzales, umgeben von seinen dürren, hochgewachsenen Freunden. Komische Leute waren das; sie mussten Korsetts tragen, um sich aufrecht halten zu können. Nur zwei von ihnen, die nicht krank im Kopf geworden waren, lagen gefangen in einem Erdloch.
Ann sah die Männer und Frauen, die sie aus Corkaich kannte und die ihr niemals so fremd gewesen waren wie im letzten Jahr. Auch Pieroo war da. Anns Herz machte einen Sprung, als sie den so vertrauten haarigen Burschen sah, ihren Ersatz-Dad. Gern wäre sie zu ihm gerannt, doch sie konnte ja nicht, weil dieses ekelhafte Tentakel sie festhielt. Also winkte sie ihm wenigstens zu.
Die Enttäuschung
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