3. Die Connor Boys: Diese Nacht kennt kein Tabu
faszinierend gefunden.
Michael fischte in der Jackentasche nach dem Hausschlüssel. Ihm konnte das alles gestohlen bleiben. Auch das Haus. Es stammte noch aus der Zeit der Piraten und Segelschiffe, hatte drei Etagen, einen Turm auf der einen Ecke und einen Wandelgang rund ums oberste Stockwerk. Beeindruckend. Phantastisch. Michael konnte es nicht erwarten, das Haus endlich loszuwerden.
Seine jüngeren Brüder hatten das schon versucht. An der Küste von Maine gelegen, war es ein herrlicher Besitz. Zum richtigen Preis musste es sich, selbst in Zeit en einer Wirtschaftskrise, im Nu verkaufen lassen. Doch seit ihr Großvater ihnen den alten Kasten vererbt hatte, hatten sie damit ein Klotz am Bein.
Das würde sich natürlich ändern, weil er den Verkauf jetzt selbst in die Hand nahm.
Er sprang die Verandastufen hinauf. Ein Blitz zuckte und erhellte kurz das ganze Haus mit seinem gespenstischen Licht. Michael ignorierte das. Gordon und Seth hatten ihn gewarnt, dass das Haus etwas Geheimnisvolles, beinahe etwas Verzaubertes an sich hätte.
Michael fand die Warnung lächerlich. Das Haus hatte sich aus ganz anderen, triftigeren Gründen nicht verkaufen lassen, mit Zauber oder Spuk hatte das nichts zu tun gehabt. Seine Brüder waren einfach zu sehr abgelenkt worden von den Frauen, die sie hier während ihrer Anwesenheit kennen gelernt hatten.
Dass ihm etwas Ähnliches passierte, war mehr als unwahrschein lich. Derartige Probleme waren leicht aus der Welt zu schaffen, wenn auch manchmal zeitraubend. Doch seinen Brüdern gönnte er es, dass sie glücklich waren, denn deren Glück lag ihm sehr am Herzen. Beide hatten es gut getroffen mit ihren Frauen, besonders nach dem Pech, das die Männer der Connors immer gehabt hatten. Ironischerweise hatte sich Michael früher immer gewundert, dass er als einziger aus der Reihe getanzt war . Zehn Jahre war er verheiratet gewesen, rundum zufrieden und glücklich, ein Vorbild - so hatte er gehofft - für seine jüngeren Brüder, die er mit großgezogen hatte.
Das Scheitern seiner Ehe setzte ihm zu. Er war in seinem Leben noch nie mit etwas gescheitert. Weder beim Fußball, beim Poker noch in der Schule oder im Beruf, und schon gar nicht mit etwas, was ihm viel bedeutete. Rasch unterdrückte er jeden weiteren Gedanken daran. Nur wenn er an Carla dachte, brannte ihm schon der Magen.
Er steckte den Schlüssel in das alte Schloss und drehte ihn her um. Dann ein Stoß, und die schwere Eichentür schwang knarrend nach innen auf. Während er noch nach dem Lichtschalter suchte, hörte er irgendwo im Haus das Telefon klingeln.
Er fand den Schalter, betätigte ihn, und sofort blendete ihn ein prächtig glitzernder Kristallkronleuchter, der eine breite Treppe und eine holzverkleidete riesige Eingangshalle mit einer Vielzahl von Räumen zu beiden Seiten erhellte. Telefonapparate waren nicht zu sehen, aber das Geräusch kam aus einem der Zimmer hinten links. Er lief hin, kam in eine Küche, und noch vor dem vierten Klingeln hatte er den altmodischen Wandapparat erreicht.
„Mr. Connor? Hier ist Paula Stanford. Ich hatte gehofft, Sie heute Abend noch zu
erreichen, aber ich wusste nicht, wann Sie genau hier sein würden."
Michael klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr und lockerte seine Krawatte. Stanford war der Name der Maklerin. Er hatte schon mit ihr telefoniert. Natürlich hatte er auch ihr allein den Verkauf des Hauses überlassen können - wenn er bereit ge wesen wäre, jemand anders als sich selbst zu vertrauen. Und das war er nicht.
„Ich könnte mich morgen mit Ihnen treffen, wenn es Ihnen recht ist. Sagen Sie, um wie viel Uhr es Ihnen passt."
Das tat Michael. Punkt zehn Uhr. Im Geiste stellte er sich vor, wie Ms. Stanford aussah. Brünett, drall und klein. So um Mitte Fünfzig. Sie sprach respektvoll. Vielleicht hatte sie Erkundigungen über ihn eingezogen und wusste, dass er Geld hatte. Irgend et was in ihrer Stimme ließ ihn an teures Parfüm denken.
Er machte gern dieses Spiel und versuchte, sich nur nach der Stimme seinen Gesprächspartner vorzustellen. Wenn er bei Männern eine Trefferquote von zehn zu zehn erzielte, dann war bei den Frauen das Verhältnis eher vier zu zehn - was wieder einmal be wies, wie wenig er von Frauen verstand. Aber das war kaum überraschend, so wie er seine eigene Frau missverstanden hatte. Zum Glück brauchte er Ms. Stanford nicht zu verstehen, um mit ihr zu arbeiten. Bis jetzt hatte sie seine Anweisungen wortgetreu befolgt. Auf diese
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